DER JESUS-SKANDAL |
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Grußwort (Rolf Budde)
Es war ein besonderes Ereignis, als meine Frau und ich 2006 die große Liebermann-Ausstellung »From Realism to Impressionism" im Jüdischen Museum New York besuchten. Eines der Hauptbilder der damaligen Schau war das große Gemälde Der zwöljjährige Jesus im Tempel aus der Hamburger Kunsthalle, das aufgrund seiner Geschichte und der Auseinandersetzung, die es 1879 auslöste, vom Jüdischen Museum New York als Mittelpunkt eines eigenen Ausstellungskapitels inszeniert wurde. Das Bild war damals nur in New York zu sehen. Zur ersten Station der Ausstellung, Skirhall Cultural Center in Los Angeles, durfte es aufgrund seines fragilen konservatorischen Zustandes nicht reisen. Die schiere Größe des Bildes, seine unglaublich durchgearbeitete Komposition und der goldene Ton der Farbe hinterließen in uns einen tiefen Eindruck. Damals befanden wir uns mitten in der Phase der Wiederherstellung der LiebermannVilla und ihrer Umwandlung zum Museum. Keiner von uns hätte zu hoffen gewagt, dass dieses so gut wie nie ausgeliehene Hauptbild des frühen Liebermann einmal darin hängen würde. Heute, dreieinhalb Jahre nach der Begegnung in New York haben wir die außerordentlich große Freude, das Bild hier bei uns am Wannsee wiederzusehen, und nicht nur das Bild selbst, sondern auch sämtliche erhaltenen Skizzen, Vorarbeiten und Studien dazu. Es ist eine solche Fülle von Arbeiten zum Thema, die, ergänzt um Dokumente und Bilder anderer Künstler, so noch nie zu sehen war. Im Namen der Max-Liebermann-Gesellschaft Berlin möchte ich allen, die am Gelingen dieser Ausstellung beteiligt waren, danken: den Museen und Sammlern für die Leihgaben ihrer Werke und der Ernst von Siemens Kunststiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung. Ohne ihr Verständnis und ihre freundliche Hilfe wäre diese Ausstellung nicht möglich gewesen. Unser besonderer Dank gilt Herrn Prof. Hubertus Gaßner, Dr. Jenns Howoldt und Dr. Andreas Stolzenburg von der Hamburger Kunsthalle, die eine Ausleihe des Gemäldes Der zwölfjährige Jesus im Tempel und zahlreicher weiterer Werke aus dem Besitz der Kunsthalle möglich gemacht haben. Bei der Vorbereitung der Ausstellung hat die LiebermannGesellschaft erneut in hohem Maße von ihrem im Jahr 2000 gegründeten wissenschaftlichen Beirat profitiert. Das Geschrei war groß: Der Sohn Gottes ein »naseweiserjudenhenge«? Unerhört! - Kaum ein Liebermann-Gemälde hat einen solchen Skandal hervorgerufen wie Der zwölfjährige Jesus im Tempel, das erstmals 1879 in der Internationalen Kunstausstellung im Münchener Glaspalast zu sehen war. Grund hierfür war vor allem die realistische Darstellung des Jesusknahen, den Liebermann als barfüßigen Jungen mit schwarzen Locken malte. Man warf dem Berliner Künstler eine Verunglimpfung der christlichen Religion vor, nannte ihn einen Rhyparographen (Schmutzmaler) und war entrüstet, wie er als jüdischer Maler es überhaupt wagen konnte, sich diesem Sujet zuzuwenden. Durch seine Malerei habe er aus dem Sohn Gottes einen schmutzigen »naseweisen Juden-Jungen« gemacht und »die Scene in eine echt polnisch kleinstädtische Synagoge verlegt«. Die öffentliche, von antijüdischen Ressentiments genährte Empörung war so groß, dass sich sogar der Bayerische Landtag mit dem Fall beschäftigte. Tief getroffen wandte sich Liehermann von der Historienmalerei ab und sah sich später sogar zu einer Überarbeitung der Gestalt des Jesus genötigt. Im Unterschied zu Deutschland konnte das Werk 1881 in Den Haag und 1884 in Paris erfolgreich ausgestellt werden. ***Es erfüllt mich mit besonderer Freude, dass das Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel, obwohl es aufgrund seines konservatorisch fragilen Zustandes eigentlich nicht mehr reisen darf, für unsere Ausstellung an den Wannsee kommen durfte - eine große Ausnahme, die zuletzt nicht einmal der Nationalgalerie Berlin gewährt wurde. Hierdurch ist es erstmals möglich, das Gemälde zusammen mit allen Vorarbeiten, Skizzen, Studien und Zeichnungen auszustellen. Die Arbeiten kommen zu einem großen Teil, wie das Bild selbst, aus der Sammlung der Hamburger Kunsthalle, ohne deren Kooperation das Projekt nie zustande gekommen wäre. Weitere Leihgeher sind die Staatlichen Museen zu Berlin, das Kunsthaus Zürich, das Saarlandmuseum Saarbrücken, das museum kunstpalast Düsseldorf, die Galerie LeClaire Hamburg, die Kunsthalle Bremen, das ClemensSels-Museum, Neuss, das Museum Georg Schäfer, Schweinfurt, und private Leihgeber. Die Skizzen, Studien und Zeichnungen geben Aufschluss über die Herkunft der Motive, die Entstehungsgeschichte des Werkes und über Varianten, die Liebermann in Erwägung gezogen und schließlich doch verworfen hat. Darüber hinaus geht die Ausstellung mit Werken von Rembrandt, Menzel und anderen Künstlern der ikonografischen Tradition des Sujets nach. Ein weiteres Ausstellungskapitel veranschaulicht mit Faksimiles, Dokumenten und erläuternden Texttafeln die publizistische Kontroverse und die historischen Umstände der Münchener Ausstellung. Dabei können wir dank umfangreicher Recherchen in zahlreichen Archiven bisher völlig unbekanntes Material präsentieren. Die Ausstellung verbindet auf außergewöhnliche Art und Weise Kunst-, Kulturund Zeitgeschichte. Ausgehend von einem der prägnantesten Gemälde des Frühwerkes thematisiert sie Liehermanns Schwierigkeiten als Neuerer der Kunst und seine Stellung als deutsch-jüdischer Maler im Deutschen Kaiserreich. ***Im vorliegenden Katalog werden sowohl die kunsthistorischen als auch die historischen Aspekte des Themas vertiefend behandelt. Mit einer Reihe hochinteressanter Beiträge ist es dabei gelungen ein kleines monografisches Standardwerk über Liebermanns Gemälde Der zwölfjährige Jesus im Tempel zusammenzustellen. Den Beginn macht Jenns Howoldt, Kustos an der Hamburger Kunsthalle, der das Werk einer genauen kompositorischen Analyse unterzieht und auf Liebermanns Vorbilder verweist. Anna Sophie Howoldt ergänzt diese Ausführungen durch eine Untersuchung der dargestellten Kleidung, mit der Liebermann die im Bild agierenden Personen historisch und konfessionell definierte. Ute Haug, Provenienzforscherin der Hamburger Kunsthalle, geht der wechselvollen Geschichte des Bildes nach, das durch einen fatalen Bilderhandel in der Nazizeit und den damit verbundenen zwischenzeitlichen Verlust gleich zweimal von der Hamburger Kunsthalle angekauft wurde. Die Umstände der Ausstellung in München 1879 und die Hintergründe der publizistischen Empörung untersuchen in ihrem Beitrag Martin Faass und Henrike Mund, während Chana Schütz ein neu aufgefundenes Zeitungsdokument kommentiert, das im Kontext der historischen Kontroverse um das Liebermann-Bild als ein frühes Beispiel selbstbewusster, jüdischer Publizistik gelten kann. Inka Bertz vom Jüdischen !Museum Berlin thematisiert den Antisemitismus im Jahrzehnt von 1874-84 und seinen Einfluss auf die Auseinandersetzung um Liebermanns Gemälde. Ezra Mendelsohn von der Hebrew University Jerusalem beleuchtet in seinem kenntnisreichen Text den historischen und kulturellen Kontext, der durch die Suche nach dein authentischen Jesus ebenso geprägt war wie durch die Versuche des Reformjudentums, dessen historische Rolle neu zu bewerten. Abschließend ordnet Petra Wandrey das Gemälde in die ikonografische Tradition des Motivs ein, die von ersten Darstellungen in der mittelalterlichen Kunst über Dürer und Rembrandt bis ins 19. Jahrhundert reicht, wo sich das Motiv des zwölfjährigen Jesus im Tempel größter Beliebtheit erfreute. ***Ausstellung und Katalog wären nicht zustande gekommen ohne die Großzügigkeit der Leihgeher, das große Engagement der Mitarbeiter der Liebermann-Villa am Wannsee und die Fachkompetenz der Autoren. Allen Beteiligten sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Besonders bedanken möchte ich mich bei Cosima Kristahn, die als Praktikantin in der Liebermann-Villa unermüdlich Bibliotheken und Archive nach zeitgenössischen Zeitungsberichten durchsuchte. ***Mein besonderer Dank gilt der Hamburger Kunsthalle und den dort tätigen Kollegen, die die Bedeutung der Ausstellung für unser Haus von Anfang an erkannt und das Projekt in jeder Hinsicht gefördert haben. Ihre freundschaftliche Unterstützung hat zum Gelingen der Ausstellung ganz entscheidend beigetragen. Danken möchte ich auch nicht zuletzt der Ernst von Siemens Kunststiftung, die uns bei der Finanzierung des Projektes unterstützt hat.
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Schäffler, Aly Peckys |