Hitlers vergessene Kinderarmee Von Harald Stutte und Günter Lucks |
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Im Frühjahr 1945 wirkten sie als Statisten im letzten Kapitel des untergehenden Nazi-Reiches mit. Sie waren Teil einer «Kinderarmee», Hitlers letztem Aufgebot.
In einem «Reichsausbildungslager» (RAL) der Hitlerjugend im südmährischen Bad Luhatschowitz waren die 16- und 17-jährigen in Schnelllehrgängen zu Soldaten geschliffen worden, zusammen mit über 1000 Gleichaltrigen. Anschließend kassierte die Waffen-SS die Kindersoldaten und verheizte sie in einem Krieg, der zu diesem Zeitpunkt längst verloren war. Im September 1944 ordnete die NS-Führung, ihr nahes Ende vor Augen, die «Erfassung aller zwischen 16 bis 66 Jahren» an. Erzogen treu im Glauben an Führer und Vaterland, folgten Tausende diesem Aufruf. In Wahrheit waren diese Kinder jedoch weder «wehrfähig», geschweige denn «Männer». Acht ihrer Geschichten werden hier erzählt. Die " Gnade der späten Geburt " (ca. 1943)
Wenn man als Staatsangehörigkeit deutsch angibt, um ein Visum für die Einreise nach Israel zu bekommen, gibt es gewisse Beschränkungen zu beachten. Wer vom Geburtsjahrgang 1927 und älter ist, muss nachweisen können, dass er oder sie damals nicht an NS-Verbrechen beteiligt war.
Die Jahrgänge 1928/29/30 und jünger sind hingegen unbelastet, sie gelten auch in Deutschland als die sogenannten "weißen Jahrgänge". Das bedeutet, dass sie im letzten Krieg noch zu jung waren, um eingezogen zu werden, und bei Gründung der Bundeswehr 1955 dann zu alt, um Wehrdienst leisten zu müssen. Auch konnten sie natürlich nicht an NS-Untaten beteiligt gewesen sein, weshalb auch unser ehemalige Bundeskanzler Helmut Kohl von der "Gnade der späten Geburt" sprach. Folgerichtig wurden dann 1955 diese Jahrgänge nicht zum Wehrdienst hcrangezogen. Aber diese "Gnade" wurde einem großem Teil der Betroffenen nicht zuteil. Für viele war die Theorie die eine Seite, die Praxis indes sah anders aus, viel grausamer. Etwa 60.000 dieser Betroffenen kamen als Kindersoldaten in den letzten Wochen des Krieges ums Leben. Dazu muss man wissen, dass mit zunehmender Zeitlänge des Krieges das sogenannte "Menschenmaterial" knapp wurde. Millionen von Toten und Verletzten forderte bereits dieser Wahnsinn. Ersatz musste also her. Doch woher nehmen? Hitlerjungens, die schon jahrelang in Wehr-Ertüchtigungslagem militärisch gedrillt worden waren, standen bereit für den Einsatz. Es gab auch seit dem September 1944 die SS-Panzerdivision Hitleijugend, die bei der alliierten Invasion im Juni 1944 bei Caen in der Normandie zum ersten Einsatz kam und dabei fast ein Drittel des Bestandes als Verlust einbüßte. Sie waren alle 17 und 18 Jahre alt. An den Fliegerabwehrgeschützen, welche die großen Städte bei Luftangriffen schützen sollten, waren 16- und 17-jährige Flakhelfer eingesetzt. Und es gab das bekannte Bild vom zitternden Hitler, der 12 und 15 Jahre alte Kindersoldaten streichelte und mit Orden ausstattete. Diese Bubis hatten, unter immensen Verlusten, tagelang die Havelbrücken in Berlin- Pichelsdorf verteidigt. Nicht zu vergessen sei auch der lange zähe Abwehrkampf der Unteroffiziersvorschüler in Steinau an der Oder. Dort wurden Jungen ab dem Alter von 14 Jahren für den Dienst als Unteroffiziere der Wehrmacht ausgebildet. Diese Knaben trugen außerdienstlich, voller Stolz, regelrechte Wehrmachtsuniformen mit einem Ärmelstreifen, auf dem Unteroffiziersvorschule stand. Nun könnte man sagen, dass das ja alles nur Einzelfalle sind. Bisher ja, aber im September 1944 kam der Volkssturmbefehl heraus. In der bekannten "Totalen Kriegsrede" in Berlin rief Propagandaminister Goebbels als Einsatz aus: "Nun, Volk, steh‘ auf, und Sturm brich los!" Volkssturm, das waren alte Männer in Zivil, mit einer Armbinde versehen, auf der "Deutsche Wehrmacht" stand, und Hitlerjungen in ihren Uniformen. Die sollten nun den "Endsieg" erringen. Aber abgesehen von den Kämpfen in Breslau und Berlin lösten sich diese Formationen bald wieder auf. Doch im österreich-mährischen Grenzgebiet kämpfte, bis zum Kriegsende, eine ganze Division mit Jugendlichen der Jahrgänge 1928/29. Sie war etwa 10.000 Mann stark und setzte sich aus Lehrgängen der Reichsausbildungslager, der Hitlerjugend und Teilen des RAD, des Reichsarbeitsdienstes zusammen. Einem Großteil von ihnen wurde ihre Blutgruppe in den Unken Oberarm eintätowiert. Bei Verwundungen sollte schnell erkannt werden können, wer Blut übertragen konnte. Es sollte in der ganzen Wehrmacht eingeführt werden, aber nur bei der Waffen-SS wurde das bis Kriegsende praktiziert. Der Nachteil war, dass nach Kriegsende schnell erkannt werden konnte, wer bei der SS war. Die genannte Einheit dieser Jugendlichen hieß SS-Panzergrenadier-Division Hitlerjugend, Man findet sie nirgends, auch nicht im Bundeswehrarchiv in Koblenz. Eine Geisterdivision? Nein, der Autor dieses Berichtes gehörte ihr an. Viele dieser Jungens mussten, wenn sie am Leben blieben, jahrelang in der Sowjetunion als Kriegsgefangene schwere Zwangsarbeiten verrichten und litten zumindest in den Anfangsjahren unter Hunger und Kälte. Wenn sie überlebten, kamen die meisten erst nach vielen Jahren wieder nach Hause. Für diese "Bubenbataillone", wie sie auch genannt wurden, gab es also keine "Gnade der späten Geburt!" Einen Vorteil gibt es für sie aber doch. Weil sie von den Jahrgängen 1928 und 1929 sind, dürften sie ohne Nachweis nach Israel einreisen, vorausgesetzt aber, die an der Grenze dort sagen nicht, wie es in der Gefangenschaft immer hieß: "Oberkörper frei, Arme hoch!" (Günter Lucks)
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Für Sie entdeckt und zusammengestellt durch EPS-Schäffler / Jürgen SteinbachTextzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Schäffler, Jürgen Steinbach |