Sein Leben gehört den Falken

Ein Besuch bei Dirk Harders


Als wir mit Dirk Harders sein Haus betreten, hören wir aus dem Wohnzimmer ein heiseres, lautes Krächzen. "Sie haben meine Stimme erkannt", sagt Dirk, "und nun schreien sie nach Futter...".

Gleich darauf sehen wir die Schreihälse selbst: zwei junge, noch fast nackte Falken. Kahl sind Kopf und Rücken, einige Borsten ragen aus den Flügelenden. Nur die weit aufgerissen Schnäbel wirken fast übergroß. Sofort macht Dirk sich an die Arbeit. Mit einer Pinzette atzt (füttert) er sie, reicht seinen "Kindern" abwechselnd kleine Fetzen zarter Taubenbrust. Natürlich roh.


Gierig schnappen sie danach, versuchen, es sich gegenseitig aus dem Schnabel zu ziehen. Doch dann, ganz allmählich, beruhigen sich die Nestlinge, hören auf zu lahnen (nach Futter zu schreien). Schließlich sind sie satt. "Gleich werden sie umfallen und schlafen, dann habe ich wieder etwa sechs Stunden Ruhe", sagt Dirk.

Dirk Harders, Jahrgang 1961,
        ist Falkner und wohnhaft in Hanerau-Hademarschen im Holsteinischen.

Aber keiner von der gewöhnlichen Art. Er ist ein Falkner, der mit den Falken lebt, der sie liebt wie ein Vater seine Kinder.
Man könnte sagen, sein Leben gehört ihnen.

Den ganzen Tag, von früh morgens bis spät in die Nacht ist er für sie tätig. Für ihr Wohlergehen gibt Harders sein ganzes Geld aus, um die Falken und die Falknerei dreht sich alles. "Falken sind der Mittelpunkt meines Lebens, so lange ich denken kann", sagt Harders. Und zu seinen wahren Freunden zählt nur, wer sich für Falken interessiert.

Besucher merken das schon bei einem Gang durch
Harders Haus. An den Wänden Fotos von Falken im freien Flug, auf der Faust des Falkners Harders, oder auch auf der behandschuhten Faust eines Mädchen oder Jungen.

Und im Garten stehen zwei selbst gebaute - und natürlich selbstfinanzierte - Volieren, jede größer als ein Hochseecontainer. Und in jeder davon lebt ein Falkenpaar. Darüber will uns Dirk erzählen.

"Es sind Kinder, die sich für die Falknerei interessieren. Mit denen arbeite ich am liebsten - denn sie sind noch richtig begeisterungsfähig und gehen voll auf bei der Zusammenarbeit mit meinen Vögeln", sagt Harders. In den Bücherregalen liegen Zeitschriften und Literatur über die Falknerei. Dazu jede Menge Videofilme zum gleichen Thema.


Siehe auch Fotos von Falken und Kinder

Doch zunächst wollten wir wissen: Warum widmet sich ein Mann wie Dirk der Aufzucht von Raubvögeln. "Wie bitte ?" unterbricht er unsere Frage. "Raubvögel?
Es gibt keine Raubvögel, genau so wenig, wie es Unkraut gibt. Es gibt nur Wildkraut und es gibt nur Greifvögel..."

Und dann legt er los. "Als ich 14 Jahre alt war, fand ich eine aus dem Nest gefallene Eule. Das faszinierte mich. Ich kaufte mir ein Buch über Greifvögel, las es wieder und wieder. Tief steckte ich meine Nase hinein und meinte, die Vögel förmlich riechen zu können..." Die nächsten Bücher waren Werke über die Falknerei. Dirk: "Als Falknerei oder Beizjagd bezeichnet man die gemeinsame Jagd von Greifvogel, Hund und Falkner. Der Hund, manchmal kommt dazu auch noch ein Frettchen, spüren die Beute auf, zum Beispiel ein Kaninchen. " Sobald das Kaninchen flieht, versucht der Greifvogel, es zu erjagen. Es ist eine ebenbürtige Jagd - da jeder, anders als mit der Jagd per Flinte oder Büchse, seine Qualitäten einsetzt. Kraft, Geschick und Ausdauer entscheiden über Erfolg oder Misserfolg. Meistens gewinnt der Greifvogel - und das schon in Sekunden.

Als häufigster Beizvogel findet der Habicht bei der Jagd auf Kaninchen, Hase, Fasan, Ente, Taube und Krähe Verwendung. Einige Falkner jagen mit Steinadler (Beute: Hasen, Füchse und Rehe) oder Wanderfalke. (Beute: Fasane, Rebhühner, Enten, Krähen und Elstern. Es waren Nomaden- und Jägervölker in den Steppengebieten Asiens, die wahrscheinlich als erste Falken zähmten, um sie für die Beiz zu gewinnen. Im 5. Und 6. Jahrhundert war die Falknerei dann schon in Europa verbreitet. Karl der Große hielt an seinem Hof in Aachen Beizvögel. Der Diebstahl oder die Tötung eines Falken wurde damals schwer bestraft. Der berühmteste Falkner des Mittelalters war der Hohenstaufer-Kaiser Friedrich II. Sein Buch "Über die Kunst mit Vögeln zu jagen" war DAS Handbuch für alle Edelleute, die den damaligen "In"-Sport betrieben.

Aus Harders kindlicher Neugier am Falknerwesen wurde bald eine Mischung aus Liebe und Faszination. Er eignete sich alle Kenntnisse an, die notwendig waren und legte schließlich die Falknerprüfung ab. "Dann arbeitete ich eine Zeit lang in einem Tierpark. Vor Publikum führte ich Falken und andere Greifvögel vor.." Aber diese Arbeit enttäuschte ihn bald. Denn sie entsprach nicht seinen Vorstellungen vom richtigen Umgang mit seinen geliebten Tieren. "Es sind immer die persönlichen Fähigkeiten des Falkners, die seinen Falken formen werden", sagt er.

Doch im Showgeschäft mit Greifvögeln ist zu viel Geschäftemacherei mit dabei. Außerdem: Die meisten Gäste sehen zwar interessiert zu - aber ihnen fehlt die Leidenschaft für die Vögel, wie sie in Harders brennt. Was Harder zudem in Tierparks sah und hörte, gefiel ihm auch nicht immer. "Viele Falknereien und Einzelpersonen, die sich als Vogelschützer ausgeben, sind nur am Geschäft interessiert. In einigen, so genannten Naturparks werden Greifvögel verschiedener Arten - manchmal bis zu 200 Vögel - wie Dutzendware gehalten und vorgeführt. Motto: Je mehr Menschen man dadurch anlocken kann, desto größer der Umsatz". Diese " Anbindehaltung " der Vögel erfüllt für Harders in einigen Fällen den Tatbestand der Tierquälereien.

Noch schlimmer sind für Harders jene "Naturfreunde",
die Greifvögel züchten, um sie für teures Geld in die arabischen Emirate zu verkaufen - wo die Falknerei ein beliebter Sport ist. Oder jene, die gar Jungvögel oder Eier aus den Nestern holen. Harders lehnt deshalb die kommerzielle Greifvogelhaltung ab. Ihm kommt es darauf an, Menschen so Greifvögel so zu interessieren, dass sie nicht nur mehr darüber erfahren sondern auch mitarbeiten wollen, um diese immer noch bedrohten Vogelarten zu schützen.

Dann gehen wir in den Garten zu den Volieren. Sie ähneln zwei mit den Stirnseiten zu einander gestellten, fensterlosen Baracken. Jede ist etwa neun Meter lang und oben zu zwei Dritteln "offen", bzw. durch ein Drahtgitter abgeschlossen. Aus dem kleinen Flur zwischen den beiden Volieren dringen Musik und Durchsagen eines Radiosenders. "Der läuft Tag und Nacht, damit sich die Vögel an Umweltgeräusche gewöhnen", sagt Harders.

Und dann können wir durch eine Luke beobachten: In der einen Voliere sitzt ein Wanderfalken-Paar, das gerade ein Junges aufzieht, in der anderen zwei so genannte Saker-Falken. Grauweiß gesprenkelt und etwas größer als die Wanderfalken. Es sind die Eltern der beiden Nestlinge im Wohnzimmer: Mutter Dana und ein aus Dänemark stammendes Saker-Männchen. Harders : "Geboren wurde Dana am 28. April 1997 in Kolbermoor bei München. Ich habe sie ihrem Züchter für damals rund 1.000 Mark abgekauft."

Nach einer Gewöhnungsphase nahm Harder seine Dana fast täglich aufs freie Feld und ließ sie fliegen. "Doch eines Tages war Dana weg. Ich weiß es noch wie heute: es war 21 Uhr, am 1. Juni 1998. Dana kam einfach nicht zum gewohnten Rendezvous-Platz. Ich ging noch einige male dorthin, suchte auch tagsüber nach ihr, doch dann musste ich mich damit abfinden: Dana hatte sich verstoßen... so nennt man das, wenn ein Greifvogel ausreißt. Ich war ziemlich am Boden zerstört, nicht wegen des finanziellen Verlustes, sondern weil ich sie lieb gewonnen hatte. "

Dann, fünf Tage nach dem geplatzten Rendezvous, kam abends gegen 22 Uhr ein Anruf aus Nord-Dänemark. Es meldete sich das Falkner-Ehepaar Frank und Penele Hansen. "Vermisse Sie eine Falke?" fragten sie. Hansen hatte Dana schon am Tag nach ihrem Verschwinden bei einem Nachbarn auf dem Hof gesichtet und eingeholt (eingefangen), 387 km weit von Hademarschen entfernt. "Ungewöhnlich, dass ein Saker-Falke an einem einzigen Tag eine so weite Strecke zurücklegt," sagt Dirk. Da Dana beringt war, hatten die Dänen ihn verständigen können und überglücklich konnte er das Tier abholen.

Doch bald darauf, am 6. Februar 1999, verschwindet Dana nach dem morgendlichen Start ein weiteres mal. Zum Glück trägt Dana bei allen Freiflügen an einer Schwanzfeder einen etwa 10 Gramm leichten Peilsender. Mit neuer Batterie sendet er rund 128 Stunden lang ein Piepsignal aus, bis zu 70 Kilometer weit. Dirk: "Ich fuhr mehrere Tage lang etwa 5.000 km durch die Gegend, empfing mit meiner Antenne auch mehrmals ein Signal und hoffte, dass Dana irgendwo aufbaumt. Aber sie blieb verschwunden.."

Dirk gab in Fachblättern einige Suchanzeigen auf,
der Fernsehsender RTL berichtete über Dana. Und eines Tages, fast auf den Tag genau elf Monte nach ihrem Verschwinden, wurde Dana auf dem Dach des Hamburger Polizeihochhauses gesichtet.

Ein Umweltschützer faxte Harders ein paar Aufnahmen. Bewaffnet mit einem Lockvogel und einem Netz machte er sich auf den Weg nach Hamburg - und fing Dana wieder ein.

30 Minuten später saß sie wieder auf seinem Handschuh, als sei nichts gewesen. "In der ganzen Zeit (ein Saker-Falke in Top-Kondition wiegt etwa 1.250 Gramm) hatte Dana nur 8 Gramm an Gewicht verloren", sagt Dirk nicht ohne Stolz. Und sieht darin einen weiteren Beweis für seine Methode der artgerechten Aufzucht: er hatte das Tier vor seinem Abenteuerausflug weder überfüttert, noch hatte es seinen Jagdinstinkt verloren.

Aus Dänemark besorgte Dirk Harders ein Männchen für Dana. Kurz vor unserem Besuch bei ihm hatte Dana fünf Eier gelegt. Drei davon waren nicht befruchtet gewesen, doch aus den anderen beiden Eiern waren zwei Junge geschlüpft. Um sicher zu gehen, dass ihnen nichts zustößt, hatte Dirk die weitere Aufzucht persönlich übernommen. In einem Brutkasten - eine anstrengende Sache ! Aber vielfach belohnt durch die Freude, die seine Falken ihm und anderen geben.

Dirk ist ein Idealist, von denen wir mehr gebrauchen könnten. Öffentlichkeitsarbeit in einem Vogelpark sieht er nicht als Broterwerb an, sondern als Aufklärungsarbeit - um den nicht ausreichenden gesetzlichen Schutz für die Greifvögel zu erwirken. Die Greifvogelbestände in Nordeuropa sollen wieder wachsen - nachdem sie - nicht zuletzt durch DDT und andere Umweltgifte - in den Sechzigerjahren fast vom Aussterben bedroht waren: Durch die verschiedensten Umweltgifte wurden die Eischalen der Gelege dünner, die Eier zerbrachen häufig beim Bebrüten. Embryonen starben ab, Vögel wurden unfruchtbar. Besonders schlimm traf es die Wanderfalken. Deren Bestände brachen auf der gesamten Nordhalbkugel in den Jahren 1950 und 1970 fast zusammen. Damals gab es in Deutschland nur noch 360 Wanderfalken-Horste. Heute ist die Art zwar immer noch gefährdet: Die Bestände sind aber Dank Falknern wie Dirk Harders und einiger anderer Idealisten wieder am Wachsen..

Was zu einem guten Falkner gehört ? "Verantwortungsbewusstsein für die Tiere, Geduld, Einfühlungsvermögen, Fingerspitzengefühl. Vor allem muss man lernen, die Dinge aus der Sichtweise seines persönlichen Greifvogels zu verstehen, " sagt Dirk.


Er persönlich legt auf zwei Dinge besonders großen Wert: Auf das Vertrauensverhältnis zwischen Falkner und Vogel, und auf die körperliche Fitness des Vogels - also Flugkraft und Ausdauer. Um dieses Vertrauensverhältnis aufzubauen, hält Dirk seine Jungfalken im Haus, kümmert sich um den jungen, untrainierten und anfangs sehr scheuen Vogel "praktisch rund um die Uhr". Später, wenn der Falke älter ist, ausschließlich während der Ruhepausen - also nachts.

Dirks großes Vorbild ist der ehemalige Hamburger Tierarzt Prof. Dr. Christian Saar. Der begann in den 60ger Jahren mit Versuchen, die vom Aussterben - oder besser gesagt von der Ausrottung bedrohten - Wanderfalken unter Haltungsbedingungen zu züchten. Fast alle Experten waren skeptisch. Schließlich gehören Falken, Habichte und Adler zu den scheuesten Geschöpfen der Erde . Doch 1974 gelang Saar die Aufzucht von sechs Wanderfalken im Brutkasten. Drei Jahre später waren es schon 22 . In den folgenden Jahren züchteten Falkner wie Dr. Saar in Zusammenarbeit mit Gleichgesinnten in Deutschland etwa 2.500 Wanderfalken. Den größten Teil davon haben sie erfolgreich ausgewildert.


Für Sie entdeckt und zusammengestellt durch EPS-Schäffler / Red.-Büro Jürgen Steinbach

Foto: © EPS Schäffler  •  Text Zusammenstellung: © EPS Schäffler
Layout und Gestaltung: © 0411-didi
Text: C.C. Troebst
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