Heute
würde man sein Unternehmen "Nostalgia" eine Ich-AG nennen: In seinem
"multifunktionellen Büro" im Hamburger Stadtteil Schnelsen sitzt
Robert "Bob" Hertwig als Ein-Mann Betrieb zwischen Akten, vollen und
leeren Kartons und CD-Displays und kreiert, produziert, wirbt, verpackt,
verschickt, schreibt Rechnungen "und leider oft auch Mahnungen". Doch
als Hertwig 1987 den Grundstein für seinen Musik & Video Versand
von Kopien teilweise uralter Tonaufnahmen legte, gab es den Begriff
der Ich-AG noch nicht. "Aber ich hatte eine Idee, die ich verwirklichen
wollte. Ich wollte Aufnahmen für musikhistorisch Interessierte
und für jene produzieren, die diese Musik in ihren Jugendjahren
noch live erlebt hatten..."
Heute
ist bei Bob (fast) alles an alten Tonaufnahmen als Kopie auf CD originalgetreu
zu haben. Etwa nach dem Motto: "Wie Oldie darf`s denn sein ?". Die Skala
reicht "von Caruso mit Knistergeräuschen bis zu deutschen Tanzorchestern
der 20ger und 30ger Jahre". Was er nicht hat, kann Bob (meist) über
seine langjährigen Kontakte beschaffen. Ein Leckerbissen für
Norddeutsche und ganz besonders für Hamburger ist zum Beispiel
die Kollektion "Swing in den Trümmern - Jazz made in Hamburg von
Juli 1946 bis Februar 1954"
Die
neueste, von Bob Hertwig zusammengestellte CD allerdings umfasst 20
Swing-Melodien der ganz besonderen Art. Sie heißt "Charly and his Orchestra"
und gibt eine spannende Hörprobe in ein Stück Musik-, Kriegs-
und Propagandageschichte des II. Weltkriegs. Amerikanische Swing-Musik
war in Deutschland nach Hitler`s Machtergreifung als "dekadent" verboten.
Die Jugend tanzte nur noch heimlich nach den Melodien. Doch ausgerechnet
der Mann, der den Swing verbot - Propagandaminister Dr. Josef Goebbels
- ließ 1943 ein eigenes Swing-Orchester gründen. Es sollte gewissermaßen
als akustische Waffe gegen die Westallierten dienen. Das Orchester spielte
besten und modernsten amerikanischen Swing. Doch die Original-Liedtexte
in Englisch wurden meist ab der zweiten Strophe durch einen Propagandatext
ersetzt. Zielscheiben waren vor allem Churchill, aber auch Roosevelt
und Stalin. Mit diesem Musikangebot, so schwebte es Goebbels vor, sollte
man den Gegner fesseln - und gleichzeitig beeinflussen. Für die
Propaganda war Swing plötzlich wieder legitim.
Die
Orchesterleitung von "Charly and his Band" hatte der Musiker Ludwig
"Lutz" Templin (1901-1973). Sänger der Propagandatexte war Karl
"Charlie" Schwedler (geb. 1902). Mit "Schwarzenegger-Akzent" sang er
seine Texte gegen die britische und amerikanische Führung. Pikanterweise
wanderte er 15 Jahre nach Kriegsende, 1960, mit seiner Familie in die
USA aus, wo sich seine Spur verliert. Dass Schwedler die Einreisegenehmigung
bekam, lag vielleicht auch daran, dass sein "Goebbels-Orchester", wie
die Allierten es nannten, ungeplant auch Lebensretter für viele
sonst Todgeweihte war. Die Sängerin Evelyn Künneke schreibt
in ihren Memoiren ("Sing, Evelyn, sing"..- Rowohlt 1985) "Alle Musiker
in der Charly-gang... waren Meister ihres Fachs, richtig heisse Spezialisten...Es
waren hauptsächlich italienische, belgische und tschechische Musiker,
sogar Halbjuden, Zigeuner, Freimaurer und Jehovas Zeugen, Homosexuelle
und Kommunisten.... Sie saßen in Berlin und nicht hinter Stacheldraht
- und machten Swing_Musik".
Dabei waren sie, was Erfolgsnummern anbetraf, stets auf dem neuesten Stand. Britische- und US-Kurzwellensender wurden abgehört und die neusten Hits aufgezeichnet. Wegen der vielen Störgeräusche wurden sie dann nicht nur neu vertont und instrumentiert, sondern auch neu getextet. Etwa mit den Versen von "Let`s go bombing..." ("Lasst uns (England) bombardieren...")
Dazu
Bob Hertwig: " Die 20 jetzt von mir herausgebrachten Aufnahmen sind
ausschließlich Propagandaaufnahmen. Seit sie "nach drüben"
ausgestrahlt wurden, hat sie kaum jemand wieder gehört. Zum Teil
ist es ausgezeichnete Bigbandmusik mit teilweise exzellenter Hot-Solistik
"..
Bob, dem die
ungewöhnliche , neue CD zu verdanken ist, ist Jahrgang 1944. Nach
der Mittleren Reife folgte die dreijährige Ausbildung zum Exportkaufmann.
"Dann kam die Bundeswehr (Fliegerhorst Stade) und anschließend die Schallplattenfirma
Teldec. Da habe ich mich dann im Lauf der Zeit von der Exportabteilung
in die Programmabteilung geschummelt " sagt er.
Dort stellte
Bob im Lauf der folgenden Jahre über 100 Platten mit historischen
Aufnahmen für den normalen Neuverkauf zusammen. Das Material kam
aus den verschiedensten In- und ausländischen Archiven. Es waren
Tonbandkopien von uralten Schellackplatten, einschließlich aller Kratz-
und Knackgeräusche. Aber das ist eben die Atmosphäre, das
Flair - so richtig geliebt von echten Oldie-Fans.
Bob: "Das habe ich 17 Jahre lang gemacht, allerdings immer in meiner Freizeit, neben meiner eigentlichen Beschäftigung der Programmgestaltung und in der Katalogabteilung. Man hat mich das auch tun lassen, weil die Platten ganz gut ankamen."
Dann
plötzlich verlor Bob, er war Anfang 40, seinen Job. "Ich bewarb
mich überall, was aber schon damals nicht so einfach war. So beschloss
ich, mich selbstständig zu machen. Zunächst produzierte Hertwig
Oldies auf Kassetten. Er nannte sie "Bobsetten" Die ersten kamen 1988
heraus. "Damals war die CD zwar schon da, aber noch nicht so verbreitet
und nicht jeder ältere Bürger hatte einen Player." Im Laufe
der nächsten Jahre brachte Bob 100 seiner Bobsetten mit den verschiedensten
Titeln per Mailorder auf den Markt. " Meine Käufer waren 60-bis
80jährige, die ich man aber nicht als Senioren bezeichnen mochte.
Sie waren einfach agil und lebenslustig und freuten sich an den Aufnahmen.
Zu den Kassetten kamen dann Schallplatten-Neuaufnahmen, und schließlich
CD`s , dazu Kopien alter Spielfilme. Im Wesentlichen handelt es sich
dabei um alte, deutsche Produktion - "denn den amerikanischen Markt
hatten andere längst abgedeckt - was soll ich da duplizieren."
Für alles zahlt Bob brav Tantiemen an die GEMA, denn er gehört nicht zu den so genannten Bootleggers, den Musikpiraten, die noch vor Ablauf eines Coyprights mit dem Vertrieb alter Aufnahmen beginnen.
Die ungewöhnlichste Aufnahmen, die Bob zusammengestellt hat, ist seiner Ansicht nach eine CD mit Stücken der Gesangsgruppe "The Revellers". Das sind zwar Amerikaner. Aber "die waren Stilbildend für die deutschen 'Comedian Harmonists', deren tragisches Schicksal ja Vilsmeier unlängst verfilmt hat. Doch als ich auf die Revellers aufmerksam wurde, gab es nirgendwo Aufnahmen zu hören. Ich bat in einem meiner Rundschreiben Kunden, ob sie vielleicht noch alte Platten hätten - und siehe da: Ich bekam genug für zwei CDs zusammen. Da hörte ich die Gruppe zum erstenmal und dachte: Das kann doch nicht wahr sein, die sind ja zehnmal besser als die damaligen Comedian Harmonists".
Nun, wer sich selber überzeugen will, sollte mit "Bob`s Music" mal Kontakt aufnehmen.
Internet: www.bobsmusic.de |