Musik aus alten Fässern.
So entstand der Pan-Sound
der Karibik.

von Cord C. Troebst


Hunderttausende von Urlaubern zieht es auch in diesem Winter wieder in die Karibik. Es locken Sonne, tropische Nächte - und der Klang der Steel Bands.
Hier erfahren Sie Ihre Geschichte ...




Mit einem Hammer schlägt Eustace "Gaystocks" Harris auf sein Instrument ein, dass es so richtig scheppert. "Man muß ein Ohr dafür haben", sagt er. Noch ein paar fein gesetzte Hiebe, eine weitere Hörprobe, dann wuchtet er das Werkstück in ein Feuer aus alten Autoreifen.

Gaystocks ist ein "Tuner". In seinem Gray`s Farm "panyard" auf der Insel Antigua fertigt der Nachfahre schwarzer Sklaven melodisch klingende Trommeln (pans) für die steel bands der Karibik. "Tuning" ist eine Kunst, die nur wenige beherrschen, und Gaystock ist einer der Besten in diesem Fach. "Kaum jemand weiss", sagt er nicht ohne Stolz, "dass unsere pans die einzigen, grundlegend neuen Musikinstrumente seit der Erfindung des Saxophons sind. " Und das war 1841, vor gut 150 Jahren !

Die Entwicklung der pans ist zugleich ein Stück Karibik-Geschichte. Denn: die britischen Kolonialherren des vergangenen Jahrhunderts hatten gegen die Musik der schwarzen Zuckerrohrarbeiter aus Afrika - fast alle waren Sklaven - ziemliche Vorbehalte. Priester nannten sie "heidnisch" und "primitiv", für Ordnungshüter war sie "ruhestörend" und für manchen Politiker waren Trommeln gar ein Mittel geheimer Kommunikation, mit dem sich womöglich Revolten ausrufen liessen. Laut "Musikerlass von 1883" auf der Insel Trinidad - zum Glück nur von kurzer Dauer - war Trommeln zwischen 18 und 22 Uhr nur mit polizeilicher Genehmigung erlaubt. Ab 22 Uhr herrschte Trommelverbot. Doch immer wieder kam es zu Zwischenfällen. Trommeln wurden beschlagnahmt, die Trommler kamen ins Gefängnis. Eine Schlägerei zwischen Polizei und Trommlern kostete 12 Menschen das Leben, 100 wurden verletzt.

Das Verbot afrikanischer Fell- und Holz-Trommeln führte schließlich dazu, daß sich die Schwarzen nach Ersatzinstrumenten umsahen. Sie schlugen unterschiedlich dicke Bambusstäbe aneinander, und benutzten für höhere Tonlagen Flaschen und Eßlöffel. Das waren die sogenannten "Tamboo-Bamboo"-Bands. In den 30ger Jahren kamen auf Trinidad und Tobago weitere Perkussions-"Instrumente" hinzu: Keksdosen, Rohrstücke, blecherne Ascheimer und deren Deckel. Das meiste Instrumentarium stammte vom Müll.

Der Legende zufolge gilt Winston "Spree" Simon aus Trinidad als "Vater" der pan-Musik. Er benutzte ein altes Ölfaß als dumpfe Trommel. "Eines Tages hatte ich sie verliehen", heisst es in einem alten Interview, "und als ich sie zurückbekam, war der obere Boden ziemlich eingedellt. Offenbar hatte man tüchtig zugeschlagen" Als "Spree" versuchte, den Boden von innen heraus mit einem Stein wieder herauszuklopfen, "konnte ich plötzlich vier verschiedene Töne ausmachen, je nachdem, wohin ich schlug. So konnte ich sogar eine kleine Melodie spielen". 1945 wurde auf diese Weise auf Trinidad erstmals ein Ölfaß zum Instrument umgebaut. Wegen der unterschiedlichen Töne, die man ihm entlocken konnte, nannte man es "Ping-Pong".

Im Lauf der Zeit wurde die Herstellungstechnik immer mehr verfeinert, die Konstruktion der einzelnen Trommeln immer raffinierter. Gaystocks Harris: "Erst härtet man ein 45- oder 55 Gallonen-Faß (etwa 200 bzw. 250 Liter) im Reifenfeuer. Das gibt besonders viel Hitze. Nach dem Abkühlen wird es zugeschnitten. Die Höhe einer pan, also eines Fassober- oder Unterteils, ist entscheidend für die Tonlage. Je weniger tief die pan, desto höher die Tonlage ". Für die Tenor-Lage braucht man z.B. ein 15 Zentimeter-Segment, für den Alt-Bereich sind es 20 Zentimeter. Für die Basslagen dient ein komplettes Faß.

Als nächstes wird die zukünftige Spielfläche (also Ober- oder Unterboden) mit einem Spezialhammer muldenförmig eingeschlagen. "Sinking" heisst das. Dann werden auf dieser zukünftigen Spielfläche mit einem zirkelförmigen Werkzeug die einzelnen "Notenfelder" eingezeichnet. Diese werden durch ins Blech geschlagene, feine Rillen säuberlich voneinander getrennt. Schließlich folgt das "ponging": von der Innenseite bearbeitet der Tuner mit einem Hammer jedes Notenfeld so lange, bis auf ihm der gewünschte Ton erklingt. Eine Tenor-pan erhält auf diese Weise 28 bis 32 chromatische (also volle und halbe) Töne, eine Bass-pan maximal vier. Weil es aber z.B. auch eine Cello-Pan, eine Tenor/Bass-Pan und eine Gitarren-Pan gibt, sind es eine ganze Menge Töne, die sich auf den Fässern erzeugen lassen. Sie reichen über fünf Oktaven, decken also die Klangbreite eines Symphonieorchesters ab.

Liegen die Töne fest, wird die pan nocheinmal im Feuer gehärtet. "Bis zu diesem Schritt schafft das auch ein geschickter pan-builder", sagt Gaystocks. "Aber für die letzte Feinheit muss der Master-Tuner ran. Vor allem, weil beim Bearbeiten eines Notenfeldes die angrenzenden Felder ihren Ton ständig wieder verändern."

Jede pan ist so gestimmt, daß sie international von anderen Instrumenten wie etwa Flöte, Klavier oder Gitarre begleitet werden kann. Aber ihr endgültiger Klang ist abhängig vom Harmoniempfinden ihres Tuners, ebenso wie Zahl und Position der einzelnen Notenfelder. Deswegen klingt es bei Großveranstaltungen nicht so gut, wenn mehrere Steelbands zusammenspielen - es sei denn, alle Instrumente wurden von ein und demselben Mann "getuned".

Die Entdeckung des neuen Pan-Sound fiel mit einer durch das Ende des zweiten Weltkriegs ausgelösten Wirtschaftskrise auf Trinidad zusammen. Arbeitslose vertrieben sich die Zeit, indem sie auf den melodischen Fässern musizierten. Aber immer noch kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei - diesmal hauptsächlich, weil so viele Fässer von den Lagerplätzen der Ölgesellschaften gestohlen wurden. Auch das Trommelverbot galt noch - aber vor Gericht wurde (auf der Insel Antigua) entschieden:die pan ist keine Trommel, sondern ein Musikinstrument. Dies war der endgültige Sieg für die Steelbands.

Wer gut spielte, genoss bald einiges Ansehen, vor allem, wenn er dazu auch sang. Von Trinidad kam die Musik in den fünfziger Jahren zuerst nach Antigua. Dort wurde der Welt zweite Steel-Band gegründet. Sie nannte sich "Hell`s Gate". Bald breitete sich der pan-sound über die ganze Karibik aus. 1950 schon gab es auf Trinidad den ersten Wettbewerb. "Panorama" wurde das Ereignis, bei dem die Bands jährlich miteinander wetteifern. Die besten von ihnen fanden bald Sponsoren. Diese finanzierten Tourneen in die USA und nach Europa. Das "Trinidad All-Steel Percussion Orchestra" (TASPO) spielte in den Fünfziger Jahren beim "Festival of Britan" und in Frankreich, aber auch in der New Yorker Carnegie Hall und auf Konzerten mit Liza Minelli. Eine gute Band wird heute von manchen Sponsoren mit bis zu 250.000 Dollar pro Jahr gefördert. 100.000 Dollar sind nicht ungewöhnlich.

Die meisten Bands bestehen heute aus 10 bis 20 Mann. Doch es gibt auch Orchester mit bis zu 100 Trommeln. Bei solchen Bands werden die Trommeln der verschiedenen Tonlagen paarweise oder in Vierer- bis Achtergruppen gespielt. Dabei unterscheidet sich die Tonlage z.B. jeder Cello-pan etwas von derjenigen der anderen Cello-pans. Das alles führt zusammen wiederum zu einen harmonischen Gesamtklang. Gleiches gilt für die Sopran- und Gitarren-pans. Die Melodie jedoch wird stets von den Tenor-pans getragen. Die guitar-pans sorgen für den Rhytmus. Als Schlagwerkzeug dienen zwei Stöckchen mit Gummikopf.

Die Bands haben keinen Dirigenten oder Kapellmeister, allenfalls einen "Captain". Es gibt auch keine Noten - die ohnehin kaum einer der Spieler lesen könnte. Geübt und musiziert wird nach Gehör. Der Rhytmus kommt aus dem Bauch. Doch das Repertoire ist gewaltig. Eine durchschnittlich gute Band kann sechs Stunden lang spielen ohne eine einzige Melodie zu wiederholen.

Namen guter Bands werden in der Karibik mit Ehrfurcht genannt - wie in Europa die Berliner oder Wiener Philharmoniker, das Gewandhausorchester oder die Staatskapelle Dresden. So gewann das 1971 gegründete "Halcyon Steel Orchestra" schon neunmal den "Panorama"-Titel. Ebenso berühmt : die "Desperados" von Trinidad. Als deren Captain Rudolph Charles 1985 starb, glich seine Beerdigung einem Staatsbegräbnis. Es war noch triumphaler als dasjenige des früheren Ministerpräsidenten der Insel, Dr. Williams. Der Sarg von Captain Charles bestand aus zwei bearbeiteten Ölfäßern. Bei dem Leichenzug durch die Hauptstadt Port of Spain säumten Tausende die Strassen. Und natürlich erklang dazu der pan-sound.

Mittlerweile gibt es auch in Europa verschiedene Steelbands, und Klubs, in denen die pan-Musik gespielt und gepflegt wird. Einige Geshäfte für Musikinstrumente verkaufen pans. Und in Dortmund gibt es sogar zwei Tuner. Einer, Bill Brown, stammt aus London. Vor vielen Jahren kam er mit einer Band nach Deutschland. Dabei lernte er seine jetzige Frau kennen, beschloss zu bleiben, und erlernte das Tuning. 1998 machte er sich selbstständig. Und bekam gleich einen grossen Auftrag: für das Städtische Gymnasium Selb (bei Dortmund) und die Musikschule der Stadt lieferte er einen Satz Steeldrums. Ali Grieser, Musiklehrer am Gymnasium: "Wir hatten Besuch von unserer englischen Partnerschule, der Stainburne School in Workington in Nordengland. Die kamen mit ihrer Steeldrum-Band. Von der Musik waren wir so begeistert, dass wir eine eigene Band gründeten. "Inzwischen sind es vier. Die Spieler sind fast durchweg Mädchen im Alter zwischen 10 und 19 Jahren. Sie musizieren nicht nur in der Schule, sondern treten auch öffentlich auf, zum Beispiel beim jährlichen Karneval der Kulturen in Essen und Bielefeld.

Wer sich für Steeldrum-Musik interessiert, sollte mit einer Mini-Pan beginnen. Sie hat einen Durchmesser von etwa 27 cm, und ist etwa 7,5 cm tief. Elf Noten sind darauf spielbar. Der Preis beträgt um die 100 €. Auf einer Doppel-Mini-Pan , also zwei pans, können sogar 20 verschiedene Töne erzeugt werden. Richtig grosse pans kosten schon 1200 € und mehr.



Kontakt: Bill Brown
Internet: www.dubbel-u-kaysteeldrums.de



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Fotos: Marcel Schäffler, Renate Schäffler, Aly Peckys Specials.

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