Rotavirusimpfungen

- Stellungnahme DAKJ
- Empfehlung, Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, Basel
- Es trifft jeden, PD Dr. med. Johannes Liese MSc, München
- Zusammenfassung, Prof. Dr. med. Christel Hülße, Rostock

Deutsche grünes Kreuz


Empfehlung zur Rotavirusimpfung


Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ)


Das Rotavirus ist der häufigste Erreger der akuten Gastroenteritis bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Erkrankung verläuft oft schwerer als bei anderen Gastroenteritis-Erregern und führt häufiger zur Hospitalisation. Bei Fehlen exakter Inzidenzdaten ergab sich in einer Modellrechnung, dass pro Jahr bei Kindern unter 5 Jahren in Deutschland etwa 430.000 Erkrankungen auftreten, von denen 108.000 zum Arztbesuch und 13.500 zur Krankenhausaufnahme führen (Soriano-Gabarro 2006). Da Rotaviren sehr ansteckend sind, gelingt es meist nicht, die Infektion mit den sonst bei enteralen Infektionen wirksamen Hygienemaßnahmen zu begrenzen. Entsprechend waren 15 % aller Fälle einer Freiburger Studie nosokomiale Infektionen (Berner 1999). In Entwicklungsländern mit schlechterer medizinischer Betreuung sind Rotaviren die Ursache für den Tod von fast 500.000 Kindern jährlich (Parashar 2003).

Die Infektion tritt in Deutschland vor allem im Winter auf, mit den meisten Fallzahlen im Februar und März. Während dieser Monate sind rotavirusbedingte Erkrankungen der häufigste Grund zur Hospitalisation an deutschen Kinderkrankenhäusern, deren häufigste Aufnahmediagnose "Dehydratation durch Gastroenteritis" mit 6 bis über 10 % aller Fälle zu Buche schlägt.

Rotaviren sind nicht umhüllt, ihr Genom besteht aus 11 Segmenten doppelsträngiger RNA. Die äußeren Capsidproteine bestimmen den Serotyp und die weitere Typisierung anhand der jeweils unterschiedlichen G- und P-Proteine, die auch Zielantigene neutralisierender Antikörper sind. Durch die Verteilung der Gene auf 11 unterschiedliche Segmente sind eine Fülle von Rekombinationen, Reassortierung genannt, möglich. In Deutschland waren in einer Berliner Erhebung 62 % G1P[8], 1 % G3P[8], 3 % G4P[8], 5 % G9P[8] und 29 % der Isolate konnten nicht typisiert werden (Oh 2003).

Der Schutz vor einer Rotavirus-Infektion wird durch Primärinfektion im frühen Kindesalter erworben. Bedeutsam sind IgA- und IgG-Antikörper gegen die Oberflächenproteine, aber vermutlich auch die zelluläre Immunität. Meist besteht nach 2 Rotavirus-Infektionen Kreuzimmunität zumindest für einen schweren Verlauf gegenüber anderen Rotavirus-Typen (Velazquez 2000). Die Rotavirus-Infektion des Neugeborenen verläuft meist asymptomatisch, schützt aber vor schweren Infektionen im späteren Säuglingsalter.

Rotaviren werden fäko-oral übertragen, was durch die hohe Konzentration der Viren im Stuhl und die niedrige Infektionsdosis begünstigt wird. Es kommt zur Infektion der reifen Enterozyten auf der Zottenspitze und Zerstörung dieser Zellen mit verminderter Aufnahme insbesondere der Oligosaccharide und verstärkter Sekretion der Kryptenzellen, wodurch eine gemischt sekretorisch-osmotische Diarrhoe entsteht. Weitere Symptome sind Erbrechen und Fieber. Inkubationszeit von 1 bis 3 Tagen kann der wässrige, nicht blutige Durchfall bis zu 7 Tage bestehen bleiben. Die Folge können eine Dehydratation sowie Elektrolytinbalancen sein. Erwachsene haben oft leichtere Symptome oder sind asymptomatisch, sind jedoch ebenfalls infektiös und können die Erkrankung auf Kinder übertragen.

Die Diagnose erfolgt durch Nachweis des Erregers im Stuhl mittels Enzym-Immuno-Assay oder Polymerase-Kettenreaktion. Mit letzterer kann auch der Genotyp bestimmt werden. Die Therapie der Rotavirus-Infektion besteht, wenn notwendig, in der Rehydratation, die sowohl oral als auch intravenös durchgeführt werden kann. Antidiarrhoeika werden nicht empfohlen und haben zum Teil unakzeptable Nebenwirkungen. Durch den Einsatz von Probiotika, wie Lactobazillus GG, kann die Dauer der Gastroenteritis verkürzt werden. Eine kausale Therapie steht nicht zur Verfügung.

Bereits 1998 war in den USA ein tetravalenter reassortierter Rhesus-Rotavirus-Impfstoff für Säuglinge zugelassen worden (Rotashield.). Reassortiert heißt, dass in dem Rhesus-Rotavirus eines der 11 Segmente durch ein Segment eines humanpathogenen Rotavirus ersetzt wurde. Der Impfstoff war gut verträglich und zeigte einen guten Schutz insbesondere gegen schwere rotavirusbedingte Gastroenteritis. 9 Monate nach Beginn der in den USA allgemein empfohlenen Impfung ergab sich jedoch eine Assoziation mit Invaginationen mit einer Häufigkeit von etwa 1:10.000 (Huppertz 2006). Daraufhin wurde der Impfstoff vom Markt genommen. Trotz dieses Misserfolges wurden weitere Rotavirus-Impfstoffe entwickelt.

Im Februar 2006 ist ein Impfstoff gegen Rotaviren in Deutschland zugelassen worden, die Zulassung eines weiteren Impfstoffes wird in Kürze erwartet. Deshalb sollen zunächst diese beiden Impfstoffe vorgestellt und dann ihr möglicher Einsatz diskutiert werden. Es wurde ein monovalenter attenuierter Lebendimpfstoff auf der Basis eines von einem Jungen isolierten Rotavirus des Typs G1P[8] entwickelt (Rotarix®, GlaxoSmithKline). Der Impfstoff wird ab einem Alter von 6 Wochen in 2 Dosen zu 1 ml oral im Abstand von mindestens 4 Wochen gegeben. Studien in Lateinamerika und Finnland an mehr als Journalisten60.000 Säuglingen zeigten keine Assoziationen mit einer Invagination, eine Verträglichkeit vergleichbar mit der Placebogruppe und eine Schutzrate von 85 % gegen schwere Rotavirus-Gastroenteritis und von 100 % gegen schwere Dehydratation (Ruiz-Palacios 2006). In einer europäischen Studie zeigten sich ähnliche Werte (Vesikari 2006c).

Das Prinzip des Impfstoffes beruht auf der natürlicherweise erworbenen Immunität nach 2 Rotavirus-Infektionen unabhängig vom Typ. Die Schutzwirkung dieses Impfstoffes gegenüber Infektionen mit dem Typ G2P[4] ist unklar. Dies liegt auch an der niedrigen Fallzahl mit diesem seltenen Typ, der nach den bisherigen verfügbaren Daten in Deutschland keine bedeutende Rolle spielt (Ehlken 2002).

In den Daten der lateinamerikanischen Studie gab es ein Signal für eine erhöhte Rate von Todesfällen an Pneumonie. Die nähere Untersuchung konnte jedoch keinen Hinweis für einen Zusammenhang mit der Impfung finden. Der andere Impfstoff ist ein human-boviner reassortierter Impfstoff mit 5 Stämmen, die in je einem Rinder-Rotavirus die menschlichen Rotavirus-Gene für G1, G2, G3, G4 und P[8] enthalten (Rotateq®; Sanofi Pasteur MSD). Der Impfstoff wird in 3 Dosen zu 2 ml als Schluckimpfung im Abstand von mindestens 4 Wochen ab einem Alter von 6 Wochen gegeben. In einer großen doppelblinden placebokontrollierten Multizenterstudie mit 68.000 Säuglingen ergab sich kein Hinweis für eine Assoziation mit Invagination, die Verträglichkeit lag im Bereich der mit Placebo behandelten Kinder und die Schutzrate gegen schwere Rotavirus-Gastroenteritis lag bei 98 % (Vesikari 2006a). Bei diesem Impfstoff war die Schutzrate gegen Infektionen mit den seltenen Rotavirus-Typen G2 und G3 unsicher. Beide Typen spielen in Deutschland keine wesentliche Rolle (Ehlken 2002).

Das Prinzip dieses Impfstoffes besteht darin, gegen die häufigsten antigenen Determinanten menschlicher Rotaviren Immunität zu erzeugen. Nachdem dieser pentavalente reassortierte Impfstoff in den USA im Februar 06 zugelassen wurde, hat die Amercian Academy of Pediatrics empfohlen, dass alle Säuglinge diesen Impfstoff erhalten sollen. Der attenuierte monovalente Impfstoff ist zur Zeit in mindestens 20 Ländern zugelassen worden, insbesondere in Südasien und Lateinamerika. Wegen der Assoziation des früher in den USA zugelassenen Impfstoffes mit Invagination wird empfohlen, dass die erste Dosis beider Impfstoffe nicht nach der 12. Lebenswoche gegeben werden soll. Es gibt keine vergleichende Studie beider Impfstoffe und die vorhandenen Studiendaten können nicht direkt verglichen werden, da unterschiedliche Instrumente zur Messung des klinischen Schweregrades der Erkrankung verwendet wurden (Vesikari 2006b).

Stellungnahme der Kommission:


Anhand der vorliegenden Studien ist anzunehmen, dass beide Impfstoffe auch in Deutschland eine gute Schutzwirkung gegen Rotavirus-Infektionen hervorrufen werden können. Dabei wird es von großem Interesse sein, zu beobachten, wie die beiden mit unterschiedlichen Prinzipien arbeitenden Impfstoffe sich im Vergleich bewähren werden.

Obwohl es bisher keinen Hinweis für eine Assoziation mit Invagination oder anderen schweren Nebenwirkungen gibt, sollte nach Einführung der Impfstoffe auf dem deutschen Markt eine intensive Überwachung auf mögliche, sehr seltene Nebenwirkungen wie z.B. Invaginationen erfolgen. Im Januar 2006 wurde die bundesweite Erfassung von Invaginationen durch ESPED begonnen.

Studien haben gezeigt, dass die Impfstoffe gleichzeitig mit der 6fach-Impfung (DTaP-Hib-HBV-IPV) sowie gleichzeitig mit dem 7-valenten Pneumokokkenkonjugat-Impfstoff verabreicht werden können, also in den deutschen Impfkalender mit Impfungen im Alter von 8, 12 und - je nach Impfstoff - nochmals mit 16 Wochen integriert werden können. Der Impfstoff sollte nicht gleichzeitig mit OPV verabreicht werden (in Deutschland nicht mehr verfügbar). Auf der Basis der Impfstoffzulassungen kann die Impfung bei der aktuellen Datenlage deutschen Säuglingen im Alter zwischen 6 und 12 Wochen empfohlen werden. Der Impfstoff stellt einen guten Individualschutz dar.

Bei einer allgemeinen Impfempfehlung könnte der Impfstoff zu einem wesentlichen Rückgang der Hospitalisation von Säuglingen und Kleinkindern in Deutschland führen. In Zeiten von Personal- und Bettenreduktion kann dies zu einer deutlichen Entlastung in Kinderkliniken führen. Andere virale und bakterielle Erreger werden aber weiterhin zirkulieren und zu sporadischen Gastroenteritiden aber auch Ausbrüchen führen. Trotzdem ist zu erwarten, dass die Impfung gegen Rotaviren zu einer deutlichen Entlastung der Familien während der winterlichen Infektsaison und auch zu einer verbesserten Lebensqualität bei Säuglingen und Kleinkindern führen wird. Es gibt Schätzungen der medizinischen und indirekten Kosten der Rotavirus-Infektion. Kosten-/Nutzenanalysen können zum jetzigen Zeitpunkt bei Fehlen eines Preises für die Impfstoffe jedoch nicht angestellt werden. Bei einer allgemeinen Einführung des Impfstoffes ist eine Beobachtung der Epidemiologie notwendig, insbesondere der Rate schwerer Infektionen und Hospitalisationen durch Rotavirus-Infektionen und einer möglichen Veränderung der vorherrschenden Rotavirus-Typen.

 

Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der DAKJ

Mitglieder: Prof. Dr. Dr. med. P. Bartmann (Bonn), Prof. Dr. med. U. Heininger (Basel, Vorsitzender), Prof. Dr. med. H.-I. Huppertz (Bremen), Dr. med. M. Kinet (Rendsburg), Dr. med. Renate Klein (Saarbrücken) und Prof. Dr. med. C. Korenke (Oldenburg).

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. Prof. Dr. med. Dr. h.c. Dietrich Niethammer (Generalsekretär) Eichendorffstr. 13 | 10155 Berlin www.dakj.de

 

Empfehlung zur Rotavirusimpfung


Stellungnahme der Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin (DAKJ)

Prof. Dr. med. Ulrich Heininger, BaselProf. Dr. med. Ulrich Heininger, Basel


Rotaviren sind der häufigste Erreger der akuten Gastroenteritis (Magen-Darm-Infektion) bei Säuglingen und Kleinkindern. Die Erkrankung verläuft oft schwerer als bei anderen Gastroenteritis-Erregern und führt häufiger zur Hospitalisation. Die Verfügbarkeit von zwei neuen oralen Rotavirusimpfstoffen (Schluckimpfstoffe) in Deutschland gab uns Anlass, zum Einsatz dieser neuen Präventionsmöglichkeit Stellung zu nehmen.

Anhand der vorliegenden, international durchgeführten Studien ist anzunehmen, dass beide Impfstoffe auch in Deutschland eine gute Schutzwirkung gegen Rotavirus-Infektionen werden hervorrufen können. Studien haben zudem gezeigt, dass die Impfstoffe gleichzeitig etwa mit der 6-fach-Impfung (DTaP-Hib-HBV-IPV) sowie mit dem 7-valenten Pneumokokken-Konjugatimpfstoff verabreicht werden können, also in den deutschen Impfkalender mit Impfungen zum Beispiel im Alter von 8, 12 und – je nach Impfstoff – nochmals mit 16 Wochen integriert werden können.

Auf der Basis der Impfstoffzulassungen kann die Impfung bei der aktuellen Datenlage deutschen Säuglingen zulassungskonform bis zum Alter von 24 bzw. 26 Wochen empfohlen werden. Die Impfung stellt einen guten Individualschutz dar und könnte zu einem wesentlichen Rückgang der Hospitalisation von Säuglingen und Kleinkindern in Deutschland führen. In Zeiten von Personal- und Bettenreduktion kann dies zu einer deutlichen Entlastung in Kinderkliniken führen.

Andere virale und bakterielle Erreger werden aber weiterhin zirkulieren und zu sporadischen Gastroenteritiden aber auch Ausbrüchen führen. Trotzdem ist zu erwarten, dass die Impfung gegen Rotaviren zu einer deutlichen Entlastung der Familien während der winterlichen Infektsaison und auch zu einer verbesserten Lebensqualität bei Säuglingen und Kleinkindern führen wird. Bei einer allgemeinen Einführung des Impfstoffes ist eine Beobachtung der Epidemiologie notwendig, insbesondere der Rate schwerer Infektionen und Hospitalisationen durch Rotavirus-Infektionen und einer möglichen Veränderung der vorherrschenden Rotavirus-Typen.

 

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V.

Die Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ) ist der Dachverband der pädiatrischen Gesellschaften Deutschlands und koordiniert die gemeinsamen Anliegen der Kinder- und Jugendmedizin und vertritt sie nach außen.

Sie konzentriert sich auf die Kerngebiete der Kinderheilkunde, wie z.B. Weiterbildung und Fortbildung, ambulante und stationäre kinderärztliche Versorgung, soziale Lage des Kindes, Prävention, Impffragen, Umweltbelastungen und ethische Fragen.

Dazu sind verschiedene Kommissionen eingerichtet, unter anderem diejenige für "Infektionskrankheiten und Impffragen". Sie setzt sich zusammen aus Vertretern der einzelnen Gesellschaften wie dem Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ), und der Deutschen Gesellschaft für Sozialpädiatrie und Jugendmedizin (DGSPJ). Um alle Aspekte der Kinder- und Jugendmedizin abdecken zu können, wurden Gesellschaften aus Spezialgebieten der Pädiatrie und angrenzender Fachgebiete als Mitglieder kooptiert (z. B. Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie, DGPI.

In den vergangenen Jahren hat die "Kommission für Infektionskrankheiten und Impffragen" Stellungnahmen u.a. zu folgenden Sachthemen erarbeitet und publiziert (www.dakj.de):

• Stellungnahme zur Verwendung von Pneumokokken-Konjugatimpfstoff
   aus medizinischer Sicht

• Stellungnahme zur Verwendung von Neuraminidasehemmern zur Therapie
   bzw. Prophylaxe der Influenza bei Kindern und Jugendlichen.

• Stellungnahme zur Sicherheit von hexavalenten Kombinationsimpfstoffen.

• Banale Infektionen — keine Kontraindikation für Impfungen

• Stellungnahme zur Prävention von Infektionen mit dem durch Zecken übertragenen    Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME)-Virus im Kindes- und Jugendalter.

• Pockenprävention

• Varizellenimpfung

• Differentialdiagnostische Abklärung von möglichen neurologischen Nebenwirkungen    von Impfungen im Kindes- und Jugendalter.

• Stellungnahme der DAKJ zum Sechsfachimpfstoff – Fälle von plötzlichem Kindstod?    Langfristiger Schutz gegen Hepatitis B?

• Vogelgrippe (Geflügelpest) und mögliche Influenzapandemie

• Schutzimpfung gegen invasive Meningokokken-Infektionen

• Rotavirus-Impfung


Sie dienen der Ärzteschaft zur Information und Wegweisung in wichtigen, praxisrelevanten Fragen und auch die STIKO verweist wiederholt – wie im Beispiel der Rotavirus-Impfung – auf deren Bedeutung.

 

Es trifft jeden und manche schwer: Infektionen mit Rotaviren


PD Dr. med. Johannes Liese MSc, München

Rotaviren sind weltweit die Hauptursache klinisch relevanter Durchfallerkrankungen bei Kindern unter fünf Jahren. Die höchste Inzidenz findet sich bei Säuglingen und Kleinkindern von 6 bis 24 Monaten.

 

Übertragung und Epidemiologie von Rotaviren

Die Übertragung der Viren findet praktisch nur von Mensch zu Mensch auf fäkal-oralem Weg (kontaminierte Gegenstände, Körperkontakt) statt. PD Dr. med. Johannes Liese MSc, MünchenIn der akuten Phase ist auch eine Tröpfcheninfektion möglich. Eine deutliche jahreszeitliche Häufung während der Wintermonate wird in Ländern der gemäßigten Klimazone beobachtet.

Immungesunde Infizierte scheiden das Virus über höchstens zwei Wochen aus, Frühgeborene, Immunsupprimierte und Kinder mit onkologischen Erkrankungen jedoch mehrere Wochen bis Monate. Das Virus bleibt in biologischem Material (Stuhl) mehrere Tage infektionstüchtig, ebenfalls in verunreinigtem Wasser oder auf glatten, harten Oberflächen (z. B. Spielzeug). Die Inkubationszeit beträgt ein bis drei Tage.

Weltweit – so Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) – verursachen Rotaviren jährlich mehr als 138 Millionen Fälle von infektiöser Enteritis. Bei etwa 25 Millionen dieser Fälle ist ein Arztbesuch notwendig, und zwei Millionen der betroffenen Kinder müssen stationär aufgenommen und behandelt werden. Weltweit kommt es zu etwa 440.000 Todesfällen pro Jahr, die ganz überwiegend in "Entwicklungsländern" auftreten. Rotavirus-Erkrankungen spielen aber aufgrund der hohen Krankheitslast mit zahlreichen Arztkonsultationen, Hospitalisierungen und nosokomialen Infektionen auch in "Industrieländern" eine große Rolle.

 

Rotavirus-Gastroenteritiden in Deutschland

Jedes Kind erkrankt mindestens einmal, d.h. man geht davon aus, dass alle Kinder bis zum Alter von drei Jahren eine Rotavirusinfektion durchgemacht haben. Von den erkrankten Kindern mit Rotavirus-Gastroenteritis werden jährlich 122.000 bis 181.000 Kinder in Arztpraxen betreut. Für Deutschland wird die Notwendigkeit einer Krankenhausaufnahme auf 7,7/1.000 Kinder unter vier Jahren angegeben, dies bedeutet eine Zahl von 24.100 Krankenhausbehandlungen pro Jahr.

Im Krankenhaus erworbene, so genannte nosokomiale Rotavirus-Erkrankungen, treten vor allem in den Wintermonaten in fast allen Kinderkrankenhäusern auf. Die geschätzte Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes von Kinder mit nosokomial erworbener Rotavirus-Erkrankung beträgt 4 ± 2,8 Tage. Im Erwachsenenalter spielen Rotavirus-Erkrankungen eine eher untergeordnete Rolle und verlaufen durch die erworbene Immunität meist mild. Erst bei nachlassender Immunität im Alter erlangen sie wieder eine größere Bedeutung.

Rotaviren vermehren sich in den Epithelzellen an den Spitzen der Dünndarmzotten. Ein Viruseiweiß (NSP4) wirkt als Enterotoxin (Darmgift). Eine erhöhte Flüssigkeitsausscheidung in der Darmschleimhaut bei verminderten Aufnahmevermögen des Dünndarmes führt zur typischen Durchfallerkrankung. Hauptsymptome sind wässriger Durchfall (oft bis zu 20 Episoden pro Tag), Erbrechen, Fieber, häufig verbunden mit heftigen Bauchschmerzen. Über 50 Prozent der Patienten zeigen darüber hinaus zusätzlich Atemwegssymptome wie Schnupfen oder Husten. Die gastrointestinalen Symptome bestehen meist über zwei bis sechs Tage. Eine eintretende Dehydratation (Austrocknung) kann lebensbedrohlich werden und muss stationär therapiert werden. Letale Verläufe sind bei adäquater Flüssigkeitsersatz-Therapie in Deutschland sehr selten (< 5/Jahr gemeldet).

 

Therapie der Rotavirus-Gastroenteritis

Eine medikamentöse antivirale Therapieoption existiert nicht. Primär eingesetzt werden orale Rehydratationslösungen, solche, die Lactobacillus GG enthalten, verkürzen den Krankheitsverlauf. Bei ausgeprägtem Wasserverlust, zum Beispiel bei hartnäckigem Erbrechen und/ oder hoher Stuhlfrequenz, ist ein intravenöser Ausgleich des Flüssigkeitsverlustes erforderlich. In Kliniken sollten erkrankte Kinder isoliert und von separatem Personal gepflegt werden. Mitaufgenommene Eltern müssen angewiesen werden, sich von fremden Kindern strikt fernzuhalten. Ein strenges Befolgen der Hygienevorschriften ist notwendig, um den fäkal-oralen Übertragungsweg zu unterbrechen. In der Klinik ist das Tragen von Handschuhen und Schutzkitteln bei der Patientenpflege, sowie die regelmäßige Händedesinfektion mit alkoholhaltigen Desinfektionsmitteln unbedingt notwendig. Im häuslichen Bereich ist eine sorgfältige Händehygiene ausreichend.

 

Zusammenfassung

Rotaviren können vor allem im Säuglingsalter schwere Durchfallerkrankungen erzeugen, die auch in Deutschland in vielen Fällen eine aufwändige und belastende Krankenhausbehandlung nach sich ziehen. Die hohe Krankheitslast bei Rotavirus-Infektionen wird häufig unterschätzt. Durch die Schluckimpfung steht eine wirksame prophylaktische Maßnahme für die Hauptrisikogruppe kleiner Säuglinge zur Verfügung.

 

Wird die Rotavirus – Erkrankung unterschätzt? – Aktuelle Daten aus Deutschland und Europa –


Prof. Dr. med. Christel Hülße, Rostock

Rotavirusinfektionen (RV) stellen weltweit mit etwa 111 Millionen Erkrankungen pro Prof. Dr. med. Christel Hülße, RostockJahr – davon 104 Millionen in den Entwicklungsländern – die häufigste Ursache von akuten Gastroenteritiden, also akute Magen-Darm-Infektionen, dar. Mit etwa 400.000 bis 600.000 Todesfällen jedes Jahr sind diese Erkrankungen bei Kindern unter fünf Jahre die dritthäufigste Todesursache in Entwicklungsländern.

In nationalen und internationalen epidemiologischen Studien konnte gezeigt werden, dass aber auch in Europa mit über vier Millionen Erkrankungen und über 100.000 Hospitalisierungen jährlich bei jungen Kindern eine hohe Krankheitslast besteht.

In Deutschland muss bei Kindern unter fünf Jahre mit etwa 256.000 Erkrankungen ohne Arztbesuch und etwa 145.000 ambulanten Arztbesuchen wegen einer Rotavirus-Infektion gerechnet werden, die bei etwa 22.000 Kindern zur Hospitalisierung führen, in deren Folge 16.000 bis 18.000 nosokomiale Infektionen auftreten.

Die in epidemiologischen Studien ermittelten Erkrankungsfälle liegen weit über den tatsächlich in Deutschland gemeldeten Rotavirus-Infektionen, die sich zwischen 38.000 und 67.000 Erkrankungen pro Jahr bewegen (2006: 80 Erkrankungen pro 100.000 Einwohner). Dies belegt, dass die gemeldeten Fallzahlen nicht die tatsächliche Belastung durch die Erkrankungen widerspiegelt.

55 Prozent der gemeldeten Erkrankungen treten bei Kindern unter fünf Jahre auf . Der höchste Erkrankungsgipfel wird im Alter von 6 bis 24 Lebensmonaten beobachtet. Bis zum zweiten Lebensjahr haben über 90 Prozent aller Kinder mindestens eine Rotavirus-Infektion durchgemacht.

Die Erkrankungen besitzen eine ausgesprochene Wintersaisonalität: Die meisten Infektionen kommen im März/April vor.

Die Auswertung einer in sieben europäischen Ländern 2004/2005 durchgeführten epidemiologischen Rotavirus-Studie bei Kindern unter fünf Jahre hat ergeben, dass RV-bedingte Gastroenteritiden länger und schwerer verlaufen als akute Gastroenteritiden, die durch andere Erreger verursacht werden. Außerdem wurde die bereits in anderen Untersuchungen beobachtete hohe Krankheitslast bestätigt:

Rotavirus-bedingte akute Gastroenteritiden verursachen bei Kindern unter fünf Jahre 26 Prozent aller ambulanten Arztbesuche und 65 Prozent aller Hospitalisierungen. Somit sind etwa 30 Prozent aller akuten Gastroenteritiden in diesem Alter auf eine Rotavirus-Infektion zurückzuführen.

 

Rotavirus-Erkrankungen bei Kindern: extreme Krankheitslast - effektiver Schutz

Rotavirus-Erkrankungen sind mit etwa 400.000 bis 600.000 Todesfällen pro Jahr die dritthäufigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren in Entwicklungsländern. Auch in industrialisierten Ländern mit einem hohen Hygienestandard, wie Deutschland sind Rotaviren die häufigsten Erreger von Gastroenteritiden bei Kindern unter fünf Jahren ein. In nationalen und internationalen epidemiologischen Studien konnte gezeigt werden, dass auch in Europa mit über vier Millionen Erkrankungen und über 100.000 Hospitalisierungen jährlich in dieser Altersgruppe die Krankheitslast erheblich ist. Schwere Durchfälle oft in Verbindung mit Erbrechen charakterisieren das Krankheitsbild, die rasche Dehydratation der Kinder ist gefürchtet. In Deutschland gehen Experten davon aus, dass etwa 145.000 Kinder unter fünf Jahren aufgrund der ausgeprägten Symptomatik ambulant behandelt werden. Etwa 22.000 Kinder müssen pro Jahr wegen einer Rotavirus-Erkrankung ins Krankenhaus eingewiesen werden.

Zudem können sich auch Kinder, die wegen einer anderen Erkrankung stationär behandelt werden müssen, in der Klinik mit Rotaviren anstecken. Eine kausale Therapie dieser Virusinfektion gibt es nicht. Die Ansteckungsgefahr ist extrem hoch, da nur wenige Viruspartikel für eine Infektion ausreichen und das Virus auch auf unbelebten Gegenständen längere Zeit überleben kann. Die Viren werden in erster Linie fäkal-oral, also über eine Schmierinfektion übertragen. Selbst strenge Hygienemaßnahmen können die Virusausbreitung nur bedingt verhindern. So sind Ausbrüche zum Beispiel in Kindereinrichtungen, aber auch Kinderkliniken keine Seltenheit. Außerdem darf nicht vergessen werden, dass Jugendliche und Erwachsene, bei denen die Infektion häufig symptomlos oder mit nur milden Beschwerden verläuft, ebenfalls infektiös sind.

Seit kurzem stehen auch in Deutschland Schluckimpfstoffe für Säuglinge ab sechs Wochen zur Verfügung. Laut Stellungnahme der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V. (DAKJ), dem Dachverband der pädiatrischen Gesellschaften in Deutschland, lässt sich die Gabe der Rotavirus-Schluckimpfstoffe problemlos in den bestehenden Impfkalender integrieren. Zudem ist die Verträglichkeit sehr gut. Wie umfangreiche Studien zur Zulassung mit jeweils über 60.000 Probanden gezeigt haben, treten etwaige Nebenwirkungen nicht häufiger als in der Plazebogruppe auf.

Derzeit gibt es zwar noch keine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Rotavirusimpfung. Da es sich um in Deutschland zugelassene Impfstoffe handelt, kann die Schluckimpfung aber selbstverständlich von den Kinderärzten angeboten werden. Oftmals möchten auch Eltern von sich aus ihr Kind entsprechend schützen lassen. Die STIKO- Empfehlungen besagen in der "Öffnungsklausel" explizit, dass dieses Vorgehen möglich und sinnvoll ist. Allerdings tragen die Krankenkassen in der Regel die Kosten zurzeit noch nicht.

Deutsches Grünes Kreuz


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Textzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Schäffler
Fotos: © EPS-Schäffler / Deutsches Grünes Kreuz /
Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V.
Quelle: Deutsches Grünes Kreuz / Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendmedizin e.V.

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Layout und Gestaltung: Schefisch 07.10.2007