ANSPRACHE ZUM   NEUJAHRSEMPFANG 2009

  DER HAUPTVERWALTUNG HAMBURG
  DER DEUTSCHEN BUNDESBANK
  AM 23. FEBRUAR 2009

 

 

Sehr geehrte Frau Landtagspräsidentin (Bretschneider),
sehr geehrter Herr Bürgerschaftspräsident (Röder),
sehr geehrter Herr Senator (Dr. Freytag),
sehr geehrte Herren Staatsräte (Frigge, Dr. Heller, Dr. Mediger),
sehr geehrte Herren Kreistagspräsidenten (Dr. Born, Prof. Panicke),
sehr geehrte Herren Landräte (Christiansen, Iredi, Leuchert),
sehr geehrte Frau Stadtpräsidentin (Kietzer),
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin (Gramkow),
sehr geehrte Abgeordnete (Arp, Koch, Kubicki, Müller-Sönksen, Neumann, Özkan, Runde, Sager, Weinberg),
meine Damen und Herren,

ich begrüße Sie alle sehr herzlich zu unserem Neujahrsempfang hier im Empire Riverside Hotel und freue mich sehr, dass Sie heute gekommen sind.

Der diesjährige Neujahrsempfang ist für mich persönlich ein ganz besonderer. Ich habe mein Amt als Präsident der Hauptverwaltung Hamburg – zu Beginn noch Landeszentralbank – in diesem Frühjahr seit acht Jahren inne. In gut zwei Monaten endet diese Zeit für mich. Dann werde ich das beginnen, was man gemeinhin „Ruhestand“ nennt. Ich habe mir allerdings Einiges für die Zukunft vorgenommen. Deshalb denke und hoffe ich, dass sich viele der guten Bekanntschaften, die ich in den letzten acht Jahren knüpfen konnte, weiterhin pflegen, manche vielleicht sogar vertiefen lassen. Bei unserem nächsten Neujahrsempfang aber wird meine Nachfolgerin Sie im Namen der Bundesbank begrüßen.

Auf diese Veränderungen in unserem Hause und in meinem Leben einzugehen, dazu wird zu späterer Zeit sicher noch ausführlich Gelegenheit sein. Ich möchte hingegen diesen Empfang wie jedes Jahr nutzen, mithilfe zweier kompetenter Redner zu fragen: „Wo stehen Wirtschaft und Finanzwelt zu Beginn 2009? Was kann uns in diesem Jahr erwarten?“. Die Frage ist in diesem Jahr zweifellos besonders spannend, wegen der außergewöhnlichen – leider nicht gerade sehr positiven – Wirtschaftslage.

Ich danke ganz herzlich dem Vizepräsidenten der Bundesbank, Herrn Prof. Dr. Zeitler, dass er bereits zum zweiten Mal meiner Einladung hierher nach Hamburg gefolgt ist. Außerdem geht mein Dank an Herrn Dr. Brüggestrat, Vorstandssprecher der Hamburger Volksbank, der für die örtliche Kreditwirtschaft sprechen wird.

Bevor ich Sie, Herr Prof. Zeitler, um Ihre Einschätzungen zur Lage aus überregionaler Sicht bitten werde, möchte ich selbst ein paar Worte zur wirtschaftlichen Situation hier in Norddeutschland sagen:

Lassen Sie mich zunächst auf das vergangene Jahr zu sprechen kommen. Neben den Verwerfungen auf den Finanzmärkten war es vor allem durch eine sich weltweit stark abschwächende Konjunkturdynamik geprägt, die in Ausmaß und Reichweite sicherlich eine Sonderstellung in der jüngeren Wirtschaftsgeschichte einnimmt. Es gab dabei sehr scharfe Korrekturen an den internationalen Aktienmärkten: Bspw. hat der DAX im Jahresverlauf 2008 40% seines Punktestandes eingebüßt.

Auch deutsche Unternehmen sind vom weltweiten Nachfragerückgang betroffen. Seit dem zweiten Vierteljahr 2008 zeigt unsere Volkswirtschaft saison- und kalenderbereinigt durchgehend negative Wachstumsraten. Im letzten Quartal sank die gesamtwirtschaftliche Leistung mit –2,1% sogar so stark wie noch nie seit der Wiedervereinigung. Dass das reale Bruttoinlandsprodukt im Jahresdurchschnitt noch um 1,3% zugenommen hat, liegt an der Wachstumsdynamik, die aus dem Jahr 2007 noch mit ins Folgejahr hineingewirkt hat. Diese grundlegende Entwicklung ist auch in den drei Bundesländern unseres Bereichs festzustellen. Die Konjunkturdynamik hat sich im Jahresverlauf erheblich abgeschwächt. Dass die Hamburger Wirtschaft im Gesamtjahr 2008 um 1,6% gewachsen ist, liegt am guten Jahresbeginn: In den ersten sechs Monaten hatte die Wirtschaft noch um 2,6% zulegen können; erst im Laufe des Jahres ließ die Wirtschaftsleistung deutlich nach. Trotzdem liegt die Dynamik in Hamburg damit über dem Bundesdurchschnitt. Ordentliche Wachstumsimpulse kamen vom Dienstleistungsbereich; schwächer hingegen war das Verarbeitende Gewerbe.

Anders in Mecklenburg-Vorpommern: Hier ist das Jahreswachstum von 1,1%, wie schon in der Vergangenheit, vorwiegend auf die Expansion des Verarbeitenden Gewerbes zurückzuführen. Gleichwohl entwickelten sich auch andere Bereiche wie z.B. das Gastgewerbe ausgesprochen positiv. Die wirtschaftliche Dynamik in Mecklenburg-Vorpommern ist weiterhin deutlich verhaltener als in Hamburg. Die Grundtendenz – ein positiver Beginn 2008 und ein Nachlassen der Dynamik im Jahresverlauf – ist jedoch die gleiche.

Ein noch geringeres Wachstum im Jahr 2008 wurde in Schleswig-Holstein gemessen. Auch hier verringerte sich das Expansionstempo der Wirtschaft im zweiten Halbjahr spürbar gegenüber der ersten Jahreshälfte. Die geringe Wachstumsrate von +0,8% muss noch immer in Zusammenhang mit der Abschaltung der beiden Kernkraftwerke Brunsbüttel und Krümmel Mitte 2007 gesehen werden. Ohne diesen Sondereffekt hätte auch Schleswig-Holstein ein Wachstum in Höhe des Bundesdurchschnitts aufgewiesen.

Der norddeutsche Arbeitsmarkt hat das schwierigere konjunkturelle Umfeld bis zuletzt recht gut verkraftet. Bis zum aktuellen Rand im Januar 2009 lagen die Arbeitslosenzahlen durchweg deutlich unter denen des Vorjahresmonats. Erfreulich ist auch, dass die Zunahme der sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung bis immerhin zum vergangenen November angehalten hat. Vor allem bei den unternehmensnahen Dienstleistern, im Gesundheits- und Sozialwesen sowie beim Handel sind weitere Stellen entstanden.

Wie wird die ökonomische Entwicklung aber nun im laufenden Jahr aussehen? Die Wirtschaftsforscher stehen in Zeiten wie jetzt erheblichen Prognoseunsicherheiten gegenüber. Ihre Konjunkturmodelle können die aktuellen Krisensymptome nur unzureichend wiedergeben. Spezielle Aussagen über regionale Sonderentwicklungen sind noch schwieriger. Ergebnisse von Unternehmensbefragungen können hier wichtige Anhaltspunkte für die norddeutsche Wirtschaft liefern.

So sind die aktuellen bundesweiten Befragungen des ifo-Instituts vom Januar zufolge alle Wirtschaftsbereiche eher von Pessimismus geprägt. Zwar haben sich die Geschäftserwartungen zuletzt etwas verbessert; allerdings sind die Optimisten weiterhin in der Minderheit.

Ganz ähnlich sind die Ergebnisse der Kammerbefragungen in unseren drei Bundesländern: Demnach dürfte vor allem für die exportorientierten Wirtschaftszweige die Geschäftslage weiterhin angespannt bleiben. Etwas besser dürfte sich den Befragungen zufolge die Situation der binnenorientierten Bereiche entwickeln. Zunächst wird die Binnenwirtschaft durch den noch relativ robusten Arbeitsmarkt sowie den stark nachlassenden Preisauftrieb gestützt werden. Ab der zweiten Jahreshälfte dürften dann die staatlichen Konjunkturmaßnahmen unterstützend wirken, da die dadurch angestoßenen Investitionen erst mit Verzögerung wirksam werden. In unseren drei Ländern belaufen sich die dafür vorgesehenen Mittel auf etwa 500 Mio. Euro allein im Jahr 2009.

Die Wirtschafts- und Finanzkrise wird also auch in der norddeutschen Wirtschaft ihre Spuren hinterlassen. Wie sieht aber die Lage in der Kreditwirtschaft aus? Auch wenn vom Finanzplatz Hamburg in den vergangenen Wochen einige negative Nachrichten ausgegangen sind, möchte ich doch betonen: Betrachtet man den Bankenplatz Hamburg als Ganzes, so zeigt er sich unter dem Einfluss der Krise recht solide. Dasselbe lässt sich für den Bankenstandort Norddeutschland insgesamt sagen. Wir haben außer der Landesbank die vielen Sparkassen und Kreditgenossenschaften, die der Finanzkrise ganz überwiegend nur indirekt ausgesetzt sind. Zudem gibt es schwerpunktmäßig in Hamburg die privaten Bankhäuser, deren Flagschiffe sich ebenfalls von den größten Krisenherden fernhalten konnten.

Sicher: Die realwirtschaftlichen Folgen der Finanzkrise treten immer mehr in den Vordergrund. Auch bei Instituten, die bisher noch wenig betroffen waren, wird sich dies verstärkt in den Büchern manifestieren. Alles in allem aber sehe ich, wenn die bestehenden Probleme gelöst werden, keinen Anlass zu übertriebener Sorge um die Stabilität des Bankenstandorts Norddeutschland.

Schließlich erlebe auch ich seit Beginn der Finanzkrise, dass die Menschen durchaus nicht nur schwarz sehen. Sie versuchen vielmehr, sich ein eigenes Urteil von der Situation zu machen. Wenn man mich fragt – das wissen alle, die mich kennen –, lege ich dabei immer den Akzent auf die Frage: „Welche Chancen zeichnen sich ab?“

Häufig höre ich derzeit den Vergleich der heutigen Situation mit der Weltwirtschaftskrise von 1929. Diese Gegenüberstellung ist, insbesondere beim Gedanken an die politischen Folgen, sehr eindringlich und macht besorgt. Ist diese Besorgnis vor solchen Folgen heute noch berechtigt? Sicherlich gibt es manche Parallele: die Bereitschaft zur Spekulation in intransparente Konstruktionen und die Unfähigkeit der Akteure, die Risiken richtig einzuschätzen; der Leichtsinn, der sich später in übertriebenes Misstrauen verwandelte. Dennoch haben wir heute bessere Voraussetzungen, mit der Krise fertig zu werden – wenn sie denn überhaupt die gleichen Ausmaße annimmt wie damals. Die Politik hat, anders als 1929, von Anfang an beherzt eingegriffen und wirksame Maßnahmen gegen einen Zusammenbruch des Bankensystems getroffen. In Deutschland wurde – und das ist ein entscheidender Unterschied – das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger durch eine stabile institutionelle Einlagensicherung erhalten, ergänzt um eine Rettungszusage der Regierung für den schlimmsten Fall. Mit dem SoFFin stehen bisher nie zuvor mobilisierte Geldbeträge bereit, um den Finanzsektor zu erhalten und die Wirtschaft zu stützen. Vor den gesellschaftlichen Folgen einer Krise bewahrt uns ein funktionierendes Sozialsystem.

Deshalb macht es keinen Sinn, nur auf die dicken Minuszeichen der Wachstumsprognosen zu schauen. Wir haben in den letzten Jahren durch Arbeitsmarkt- und Sozialreformen die Selbstheilungskräfte unserer Wirtschaft gestärkt. Es gibt eine große Wahrscheinlichkeit, dass, wenn nur das Vertrauen in die Wirtschaft zurückkehrt, wir auch relativ zügig wieder in einen Wachstumspfad einschwenken.

Das soll allerdings nicht heißen, dass wir die Hände in den Schoß legen und die verstörenden Erfahrungen der Krise einfach verdrängen können. Ich denke, es muss und wird einen deutlichen Lerneffekt geben, selbst wenn dem vielleicht vonseiten der Gesellschaft und des Staates etwas nachgeholfen werden muss. Jetzt ist das nötige Momentum gegeben, Regeln, Institutionen und Strukturen zu verändern und für ein solides Finanz- und Wirtschaftssystem zu sorgen. Initiativen wie die des Weltfinanzgipfels vom November weisen in die richtige Richtung.

Im Augenblick besteht aber auch die Chance auf eine veränderte Denkweise: Es ist wichtig, dass es wieder zum Allgemeingut wird, dass es, wo hohe Renditen winken, auch große Risiken gibt. Wir müssen uns – und als Banker natürlich auch den Kunden – klarmachen, dass Finanzmärkte nur ein Möglichmacher für die realen, Werte schaffenden Aktivitäten der Menschen sind. Der Finanzsektor kann sich nicht von der Realwirtschaft abkoppeln. Also stehen auch die Gewinnmöglichkeiten in Zusammenhang mit dem Wachstum der Wirtschaft insgesamt.

Die Krise hat gezeigt, dass Werte, die nur auf dem Papier stehen nicht sehr nachhaltig sein müssen und als Maßstäbe für Entscheidungen nur bedingt taugen. Vielleicht müssen sich andere, grundlegendere Werte an den Märkten etablieren, damit das zerstörte Vertrauen zurückkehren kann. Gestatten Sie mir als Notenbanker diese persönliche Bemerkung. Nun möchte ich aber wieder die Analyse und die nachweisbaren Tatsachen in den Mittelpunkt stellen und dazu Herrn Prof. Zeitler hier ans Pult bitten. Er ist im Vorstand der Bundesbank für die Bankenaufsicht zuständig und hat daher alle wichtigen Informationen aus allererster Hand.






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Textzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Schäffler, Schäffler
Text: Dr. Rolf Eggert (Präsident der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank)
Fotos: © EPS-Schäffler
Quelle: Deutsche Bundesbank

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