Ansprache beim Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Hamburg der Deutschen Bundesbank Dr. Andreas Dombret Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank

 

 | Rede der Präsidentin Adelheid Sailer-Schuster (kurz)
 | Dr. Andreas Dombret Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank
 | Rede der Präsidentin Adelheid Sailer-Schuster (lang)

 

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Frau Sailer-Schuster

haben Sie vielen Dank für Ihre Einladung zum Neujahrsempfang der Hauptverwaltung Hamburg. Ich freue mich sehr, heute hier bei Ihnen sein zu können. Und ich will gerne einige Worte sagen: mit einem Blick zurück ins alte Jahr, aber auch mit einem Ausblick, was man vom Jahr 2011 noch erwarten darf. Es hat für die Bundesbank – wie Sie ja wissen – bereits eine überraschende Wendung gebracht.


Für Wirtschaft und Finanzen war 2010 ein Jahr, in dem – wie selten zuvor – das Positive und das Freudige eng neben dem Sorgenvollen lag. „Gefühlt“ war 2010 ein durchaus ambivalentes Jahr. Im Positiven zeigte sich vor allem die wirtschaftliche Entwicklung bei uns. Das Jahr 2010 hat praktisch sämtliche Prognosen übertroffen. Wir sahen ein starkes Wachstum von 3,6 %. Das ist gesamtdeutscher Rekord.


Dem stand im Negativen vor allem der Ausbruch der europäischen Staatsschuldenkrise gegenüber. Die Sorgen sind spürbar. Wie wird sich die Krise auswirken: auf die betroffenen Länder, die nun harte Einschnitte vor sich haben, auf die Garantiegeber, auf die Finanzsysteme und natürlich auch auf unsere Währung, den Euro?


Trotz der erneuerten deutschen Wachstumsstärke befinden wir uns daher nach unserer eigenen Zeitrechnung nicht etwa schon in der Post-Krisen-Ära; bei der Bundesbank sprechen wir vielmehr vom vierten Jahr der Krise. Wie weit wir immer noch von einem Normalmodus entfernt sind, lässt sich beispielsweise an den Bilanzen der großen Notenbanken in der Welt ablesen. Ihre Bilanzsummen wachsen weiter. Sie liegen deutlich über dem Niveau von vor drei Jahren; bei der EZB um rund 70 %, bei der Bank von England und bei der Fed um über 180 %!


2 Staatsschuldenkrise

Die europäische Staatsschuldenkrise war im Jahr 2010 das Mega-Ereignis der Finanzstabilität. Sie stellt derzeit ohne Frage das größte Risiko für die Finanzstabilität dar.


Wachsende staatliche Schulden als Schwachstelle für Wirtschaft und Finanzen: Das hat sowohl etwas zu tun mit hausgemachten Fehlentwicklungen in einigen Ländern als auch mit einer gewissen Eigendynamik der Krise. Zu diesen Fehlentwicklungen im Vorfeld der Krise gehören insbesondere eine unzureichende Konsolidierung der Staatsfinanzen in guten Zeiten unter günstigen Finanzierungsbedingungen sowie ein zunehmendes Auseinanderdriften der preislichen Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Gebiet. Aber auch die Überhitzung auf einigen Immobilienmärkten, verbunden mit hoher Verschuldung im Privatsektor, spielt eine gewichtige Rolle.


Diese Fehlentwicklungen wurden von der Krise erst richtig offengelegt. Auch dies kann man – für sich genommen – als eine Art von Fehlentwicklung betrachten. Die Kapitalmärkte haben über Jahre die Konvergenz der längerfristigen Zinsen im Euro-Gebiet übertrieben.


Und das Phänomen, dass die Wettbewerbsfähigkeit im Euro-Gebiet allmählich immer weiter auseinander lief, wurde wohl lange zu wenig beachtet und auch zu wenig öffentlich adressiert. Hinzu trat eine Art Spirale der Rettungseingriffe. Zunächst kam es im Zuge der Bankenkrise zu einem umfangreichen Risikotransfer vom privaten in den öffentlichen Sektor. Dann schlugen die Staaten als Reaktion auf die nach der Lehman-Pleite vehement einsetzende Rezession einen expansiven Kurs in der Fiskalpolitik ein, der meist über ein Wirkenlassen automatischer Stabilisatoren hinausging.


Was ist zu tun? Ich denke, die Richtung, in die sich die Währungsunion bewegen muss, sollte klar und eindeutig sein. Im Kern geht es um zwei Dinge: Die öffentlichen Finanzen müssen nachhaltig sein. Und die Strukturen in der Währungsunion beim Umgang mit überhöhten Defiziten und Schulden einzelner Mitgliedsstaaten müssen glaubwürdig sein. Entscheidend ist dabei, dass die Eigenverantwortung der Länder für ihre fiskalische Lage unzweifelhaft klar bleibt und die Anreize, eigenverantwortlich und frühzeitig zu handeln, gestärkt und nicht etwa geschwächt werden.


Daraus folgen klare Orientierungen: Priorität für das Vorbeugen von Schieflagen! Der eigentliche Schwerpunkt jedes Reformwerks hat nach meiner festen Überzeugung in der Prävention zu liegen. In der Prävention geht es vor allem darum, die Fiskalregeln zu härten. Und es geht auch um eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik in Europa, zumindest im Euroraum. Die Erfahrung hat gezeigt, dass sich Versäumnisse in der Wirtschafts-, Sozial- oder Finanzsystempolitik vielleicht nicht unmittelbar in höheren staatlichen Defiziten niederschlagen müssen. Aber sie können sich dafür zu einem späteren Zeitpunkt umso massiver auswirken. Bei Fehlentwicklungen in einzelnen Ländern, die sich etwa in einer erodierenden Wettbewerbsfähigkeit ausdrücken, ist frühzeitig gegenzusteuern. Entscheidend an der verstärkten Koordinierung ist, dass sich die Inhalte und Konzepte jeweils an den besten Ländern und nicht am Durchschnitt orientieren werden.


Darüber hinaus darf das Ergänzen des Rahmenwerks um den geplanten Europäischen Stabilisierungsmechanismus das Primat der Eigenverantwortung der nationalen Finanzpolitik nicht unterspülen. Hilfe von der Gemeinschaft dient nur dazu, die Dynamik der Krise zu brechen und den betroffenen Ländern die notwendige Zeit einzuräumen, um die öffentlichen Haushalte zu konsolidieren, Strukturreformen durchzuführen und vorangegangene Übertreibungen zu beseitigen. Unverzichtbare Elemente sind dabei: eine strikte Beachtung des Haftungsausschlussprinzips, strenge Konditionalität aller Hilfen und das Vorliegen einer unabdingbaren Notwendigkeit – also nur, wenn die Stabilität der Währungsunion insgesamt gefährdet ist. Im Übrigen: Falls sich ein Land der Währungsunion als insolvent erweisen sollte, sind die privaten Gläubiger an einer Lösung zu beteiligen, und zwar bevor Liquiditätshilfen gewährt werden. Vorschläge, die hingegen eine gesamtschuldnerische Haftung beinhalten und damit die Eigenverantwortung der Länder aushöhlen, sind nicht dazu geeignet, das Vertrauen in die öffentlichen Finanzen zu stärken. Deshalb wäre eine Einführung von Eurobonds sehr kritisch zu sehen. Einen wichtigen Punkt möchte ich noch hinzuzufügen: Es wäre ein Fehler zu glauben, die Staatsschuldenkrise sei ein rein europäisches Phänomen. Denn der Nährboden für steigende Staatsschulden – also zum Beispiel: hohe Sozialausgaben, demographische Alterung, innenpolitische Unstetigkeiten – findet sich in viel zu vielen Ländern. Und deren Ausgangslage, gemessen am Schuldenstand und der aktuellen Defizite, sieht teilweise deutlich schlechter aus als bei jenen Ländern des Euro-Gebiets, die derzeit von den Finanzmärkten besonders kritisch beobachtet werden. Man denke nur an Japan mit einer Bruttostaatsverschuldung von fast 230 %. Oder man betrachte die USA, die in den beiden vorangegangenen Jahren laufende Defizite um die 11 % aufwies und deren Schuldenstand sich rasch der 100 %-Marke (in Relation zum Bruttosozialprodukt) nähert.


3 Aufschwung in Deutschland

Im „Wechselbad der Gefühle“, das uns das Jahr 2010 beschert hat, bereitete die Rückkehr der deutschen Volkswirtschaft auf einen kräftigen Wachstumskurs viel Freude.


In Europa vom Schlusslicht zur Lokomotive: eine bemerkenswerte Steigerung! Auch wenn der neue gesamtdeutsche Wachstumsrekord von 3,6 % natürlich vor dem Hintergrund des Einbruchs des Bruttoinlandsprodukts um 4,7 % im Jahr 2009 zu sehen ist. Das Vorkrisenniveau der Wirtschaftsleistung dürfte erst Ende dieses Jahres wieder erreicht werden. Gewiss hat die Wirtschaftskrise auch bei uns deutliche Spuren hinterlassen. Wir gehen bei der Bundesbank davon aus, dass der Einbruch der Investitionen im Zuge der Wirtschaftskrise das Potenzialwachstum in Deutschland in den Jahren 2009 und 2010 auf ¾ % verringert und damit in etwa halbiert hat. Bis 2012 dürfte es sich wieder auf 1 % erholen, was immer noch unter der Vorkrisendynamik liegt.


Doch blieb vor allem der deutsche Arbeitsmarkt während der Krise bemerkenswert robust. Die Arbeitslosigkeit war selbst mitten in der Krise ausnehmend gering geblieben und ist seither kräftig gesunken. Die Arbeitslosigkeit liegt mit einer Quote von derzeit knapp 7 ½ % bereits unter dem Vorkrisenniveau. Die Erwerbstätigkeit steigt weiter an. Dieses deutsche Jobwunder beruht nicht zuletzt auf strukturellen Reformen, die sich jetzt auszahlen. Die wichtigsten Stützen waren die gewachsene Flexibilität in den Tarifverträgen, insbesondere im innerbetrieblichen Umgang mit den Arbeitszeiten, sowie die bewusst attraktive Gestaltung des Instruments der Kurzarbeit. Zu hoffen ist, dass die Unternehmen vor dem Hintergrund des sich anbahnenden Fachkräftemangels ihre Personalpolitik wieder längerfristiger anlegen. Auch die deutschen Staatsfinanzen haben sich besser als erwartet entwickelt. Im laufenden Jahr erscheint ein Rückgang der Defizitquote in Richtung 2 % möglich. Jetzt nicht nachlassen, muss die Devise lauten! Keine neuen Ausgabenprogramme auflegen, sondern die Konsolidierung fortsetzen! Schließlich weisen unsere öffentlichen Finanzen inzwischen eine Schuldenquote von deutlich über 80 % auf. Vom Aufschwung profitiert haben auch die deutschen Unternehmen. Der DAX wies Ende 2010 einen Jahresgewinn von 14 % auf. Im Bereich von Transport und Logistik, der für Hamburg – und bekanntlich auch für Frankfurt – sehr wichtig ist, zeigt sich der weltweite Aufschwung. Übrigens ist es interessant, einmal einen Blick auf die beiden, in ihren Kategorien jeweils größten deutschen Häfen zu werfen – also auf den Seehafen in Hamburg und den Flughafen in Frankfurt.


Die aktuellen Kennziffern zeichnen nämlich ein recht ähnliches Bild vom Verlauf der wirtschaftlichen Aktivitäten. Die zentralen Größen – der Gesamtumschlag in Hamburg und das Fluggastaufkommen in Frankfurt – haben im Jahr 2010 jeweils deutlich gegenüber dem Krisenvorjahr zugelegt, sie liegen aber beide noch etwas unter dem Niveau von 2007 und 2008. Man sieht praktisch die deutsche Volkswirtschaft im Spiegel!


4 Die Aussichten

Was können wir nun vom Jahr 2011 erwarten? In der maritimen Sprache würde man vielleicht sagen: günstige Winde, aber nicht unbedingt einen ruhigen Seegang. Günstiger Wind dürfte weiter dank der guten konjunkturellen Entwicklung wehen. Wichtig bleibt natürlich angesichts unserer wirtschaftlichen Stärken, dass die weltwirtschaftliche Erholung anhält, wenn auch vielleicht mit einer moderateren Gangart. Dann sollte der Aufschwung bei uns in Takt bleiben. Die Bundesbank hat im Dezember ein Wachstum von 2 % für dieses Jahr und von 1,5% für das Jahr 2012 prognostiziert. Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft ist jedenfalls prächtig. Das ifo Geschäftsklima verbesserte sich im Februar weiter und stellte zum vierten Mal in Folge einen neuen gesamtdeutschen Rekord auf. Vom Welthandel, der in den Jahren 2011 und 2012 real um jeweils rund 7 % zunehmen dürfte, sollten gerade auch die großen Umschlagplätze für Güter profitieren.


Und dennoch könnte die See rauer werden. Das Preisklima in Deutschland und im Euro-Gebiet hat sich deutlich eingetrübt, vor allem durch die weltweit gestiegenen Preise für Energie, Rohstoffe und Nahrungsmittel. Die erhöhte Teuerung könnte sich durchaus als hartnäckiger erweisen als bisher angenommen. Auch Zweitrundeneffekte können nicht ausgeschlossen werden. Insofern haben die mittelfristigen Aufwärtsrisiken für die Geldwertstabilität zugenommen. Zugleich kristallisiert sich das eingetrübte Preisklima mit dem damit verbundenen Entzug an Kaufkraft als Risiko für den privaten Konsum und für die Konjunktur heraus. Für die Finanzstabilität ist es unverzichtbar, dass die Inflationserwartungen dauerhaft verankert bleiben.


Das Fahrwasser könnte auch deshalb unruhiger werden, weil weltweit die Bankensysteme bei weitem noch nicht gesund sind. Die schwächeren Banken bleiben anfällig, gerade gegen Engpässe bei der Refinanzierung. Das internationale Bankensystem ist nach wie vor relativ kurzfristig refinanziert. Das Funding der Banken wird weltweit mit der enormen staatlichen Kreditaufnahme konfrontiert. Zwar hat das deutsche Bankensystem zuletzt an Stabilität zugelegt. Unser Bundesbank-Stabilitätsbericht im vergangenen November hat dies ausführlich dokumentiert. Aber wir dürfen nicht vergessen: Auch in Deutschland gibt es unverändert Schwachstellen. Und es gibt einzelne Sektoren mit Konsolidierungsbedarf unter größeren Banken, deren Geschäftsmodelle krisenanfällig sind. Reine Großkunden- und Geschäftskundenbanken jedenfalls, selbst wenn sie in ausgewählten Nischenmärkten präsent sind, stehen in der Verantwortung, die Erfahrungen mit der Finanzkrise kritisch zu analysieren.


5 Schluss

Mein Eindruck vom Aufschwung bei uns ist, dass wir Deutsche eigentlich am meisten davon überrascht sind! Vielleicht müssen wir selbst wieder begreifen, dass Deutschland ein attraktiver Standort sein kann. Vielleicht müssen wir selbst wieder lernen, dass sich Investitionen in Deutschland sehr wohl lohnen. Denn die Investitionstätigkeit in Deutschland ist im bisherigen Verlauf dieser Dekade nicht gerade berauschend gewesen, vor allem während der ausgeprägten Flaute in den Jahren 2001 bis 2005. Um die Zukunft bewusst zu gestalten, ist es oft eine ganz gute Idee, geschichtliche Ereignisse besonders zu würdigen und wieder in Erinnerung zu rufen, und zwar nicht nur bei politischen Anlässen. Wenn ich richtig informiert bin, hatte und hat Hamburg dieses Jahr mindestens zweimal Gelegenheit, großer Innovationen und beeindruckender Pionierleistungen zu gedenken, die vor hundert Jahren Geschichte schrieben.


Schon im Januar konnte die Hansestadt 100 Jahre Flughafen Hamburg feiern; mit dem Gedenken an jenen zukunftsweisenden Bau einer Luftschiffhalle für zwei Zeppeline in Fuhlsbüttel. Und im Mai jährt sich die Eröffnung des Alten Elbtunnels vor hundert Jahren, damals ein technisches Wunderwerk.


Für Ihre hiesige Wirtschaft kann man also dieses Jahr sagen: Die Moderne trifft die Tradition.


Die Bundesbank dürfen Sie im neuen Jahr auch weiterhin fest an Ihrer Seite wissen. In diesem Sinne alles Gute und viel Erfolg bei den anstehenden Aufgaben.




Internet: www.bundesbank.de


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Textzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Jürgen Heuer
Fotos: © EPS-Schäffler
Quelle: Deutsche Bundesbank

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