Multimodalität der Schmerztherapie - neurobiologische Grundlagen Prof. Dr. med. Walter Zieglgänsberger
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Multimodalität der Schmerztherapie - neurobiologische Grundlagen
Prof. Dr. med. Walter Zieglgänsberger (links im Bild)
In Deutschland werden Millionen Menschen zu chronischen Schmerzpatienten,
obwohl das bei einem großen Teil der Betroffenen durch gezielte Prävention und
frühe konsequente Behandlung verhindert werden könnte. Chronischer Schmerz
ist kein Symptom einer Krankheit, sondern eine komplexe Erkrankung. Die biopsychosozialen Komponenten erfordern interdisziplinäre Disease-Management-
Programme in Versorgungsstrukturen, die den psychischen und körperlichen
Wünschen des einzelnen Patienten entgegenkommen. Die Patienten ziehen sich mehr und mehr zurück. Der soziale Rückzug fördert
wiederum Schmerzen und Depression. Ihre zunehmende Angst verhindert, dass
sie Dinge tun, die ihnen früher Freude bereitet haben. Eine moderne
Schmerztherapie muss daher die Angst vor der nächsten Schmerzattacke
mitberücksichtigen. Die Situation chronischer Schmerzpatienten gleicht der von
Folteropfern. Auch Folter basiert auf der bloßen Androhung eines zuvor bereits
zugefügten Schmerzes und der Angst davor. Ein nur kurz wirksames
Analgetikum verstärkt diese psychische Komponente unter Umständen noch, da
der Patient ständig daran denken muss, das Medikament zeitgenau
einzunehmen. Um die Angst vor dem
Schmerz anzugehen, werden bei der Behandlung chronischer Schmerzen auch
Substanzen ohne direkte analgetische Wirkung eingesetzt. Ziel dieses
Therapieansatzes ist es, Lernprozesse im Gehirn anzustoßen, um alte und
unangenehme Gedächtnisinhalte quasi zu "überschreiben". Wichtig ist dabei, die
Schmerzlinderung möglichst in der gewohnten Umgebung des Patienten zu
erreichen. Eine adäquate Retardgalenik macht es möglich, den Wirkstoffspiegel
im Blut über den Tag nahezu konstant zu halten und so die Alltagsaktivität des so
auch meist ausreichend vigilanten Patienten zu erreichen. Dieser sogenannte SNEPCO-Mechanismus kann so auch Schmerzen, die bereits über längere Zeit bestehen, günstig beeinflussen, da biochemische Prozesse angesteuert werden, die die Grundlage von neuronaler Übererregbarkeit und zellulärem Schmerzgedächtnis bilden. Auch nach einer bereits eingetretenen Chronifizierung lassen sich durch konsequente langfristige Reduktion des neuronalen Einstroms und Dämpfung zentraler neuronaler Überaktivität noch therapeutische Erfolge erzielen. Es ist davon auszugehen, dass eine aktivitätsabhängige Genexpression, die zu einer Steigerung der neuronalen Erregbarkeit geführt hat, bei einer Verminderung z. B. des synaptischen Zustroms oder der spontanen Entladungstätigkeit auch wieder abnehmen kann. Durch eine medikamentöse Therapie, die den Schmerz kontinuierlich unter Kontrolle hält, kann man chronischen Schmerzpatienten die Angst vor der nächsten Attacke nehmen; sie entwickeln Vertrauen in schmerztherapeutische Maßnahmen und erkennen, dass sie diesen Prozess auch durch eigenes Verhalten steuern können. Mit modernen Retardtabletten lässt sich so der Teufelskreis der Schmerzchronifizierung durch "Re-Learning" leichter durchbrechen. Für Sie entdeckt und zusammengestellt durch EPS-Schäffler / Körner / Jürgen SteinbachTextzusammenstellung: © Ermasch - Presse - Service, Schäffler |