Oberarzt Dr. med. dent. Daniel Weber, Universitätsklinikum Gießen und Marburg
Das Sprachverhalten gehört zum individuellen Erscheinungsbild eines Menschen. Unstimmigkeiten im korrekten Zusammenwirken der Artikulationsorgane können Behinderungen in der Verwirklichung lautlicher Sprechnormen bewirken. Solche Beeinflussungen nimmt nicht nur der Sprecher selbst wahr, sondern auch sein soziales Umfeld reagiert irritiert auf eine veränderte Aussprache.
Aufgrund ihrer komplexen Erzeugung ist die Sprachlautbildung störanfällig. Die Zähne als reihenförmig angeordnete, nicht veränderbare Strukturen der Mundhöhle haben als passive Lautbildner eine entscheidende Aufgabe bei der Sprachlautbildung. Vor allem bei der Bildung von Konsonanten kommt der Bezahnung eine große Wichtigkeit zu. Der Verlust von Zähnen führt folglich zu Störungen der Sprachproduktion insbesondere dieser Laute.
Ziel dieser Studie war es, den Einfluss des Verlustes von Seitenzähnen auf die Sprachlautbildung zu untersuchen. Verschiedene Bezahnungsvarianten wurden mit modifizierten Totalprothesen an zahnlosen Probanden simuliert. Von der "Vollbezahnung" bis hin zum kompletten Seitenzahnverlust (Zähne
4 – 7) konnten durch Kombinationen ein- und beidseitig seitenzahnreduzierter (Total-)Prothesenduplikate gezielt unterschiedliche Situationen nachgeahmt werden.
Ein von den Probanden vorgetragener Lesetext wurde mit instrumentalphonetischen Methoden digital aufgezeichnet und bearbeitet. Mittels rechnergestützter Frequenzanalyse und einer auditiven Bewertung war es möglich, Unterschiede der Lautbildung untersuchter Konsonanten als direkte Folge der gerade getragenen modifizierten Testprothese objektiv (messbar) und subjektiv (hörbar) zu erfassen. Es wurden zum einen die zu bewertenden Prüflaute zunächst aus ihrem lautlichen Umfeld isoliert und in ihrem Frequenzgang in Abhängigkeit zum Schalldruck (Amplitude) grafisch dargestellt. Diese Frequenzspektren zeigen sehr genau, wie sich der Laut durch den seitenzahnmodifizierten Zahnersatz verändert. Zum anderen bewerteten 139 ver-schiedengradig mit der Materie vertraute Personen die Tonaufnahmen nach der Qualität der Aussprache.
Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass sich sowohl auf frequenzanalytischer als auch auf auditiver Ebene zeitnah zur Insertion der Prothesenmodifikationen nur wenig relevante und reproduzierbare Veränderungen in der Sprachlautbildung ergeben. Trotz seitenzahnmodifizierter Situation ist eine klare Identifizierung der Laute möglich.
Reaktionen auf die Testprothesen sind zwar feststellbar, jedoch in einem geringen Ausmaß. Regelmäßigkeiten sind kaum nachweisbar. Eine der Aussprache deutlich abträgliche Situation infolge Veränderung des Seitenzahnbereiches ist somit nicht erkennbar. Die durch die Testprothesen verursachte Störung reicht somit nicht aus, das automatisch ablaufende Artikulationsmuster der Probanden maßgeblich zu behindern.
Bei der subjektiv, auditiven Begutachtung durch unterschiedlich geschulte Hörer wird kein Zusammenhang infolge vorheriger Befassung mit der Materie deutlich.
Ein Vergleich der mit Totalprothesen versorgten Probandengruppe mit einer prothetisch unversorgten Referenzgruppe zeigt einen für die alltägliche Praxis nur unbedeutenden Unterschied der Sprachlautbildung von Prothesenträgern und Vollbezahnten im Allgemeinen auf. Die gewonnenen Referenzwerte sind in ähnlich orientierten Untersuchungen als Normwerte nutzbar.
Die Resultate der Untersuchung beweisen die Kompensationsfähigkeit der Artikulation. Es ist davon auszugehen, dass trotz der modifizierten Bezahnungssituation das gewohnte Artikulationsmuster zunächst aktiv beibehalten wird. Ob entsprechende Ausgleichsmechanismen nur während der kurzen Beobachtungsphase vorliegen oder auch bei längeren Trageintervallen beibehalten werden, sollte Thema weiterführender Studien sein. Eine Sprechprobe aufgrund der nachgewiesenen Kompensationsvorgänge direkt nach Eingliederung einer neu angefertigten prothetischen Versorgung sollte generell für eine endgültige Beurteilung der Lautbildung vorsichtig interpretiert werden.